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Seite:Der Lärm.pdf/47

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schon früher den Anfang zu einer eignen Lärmgesetzgebung gemacht hat. So gilt dort als Gesetz, dass ein Kutscher, der Baumstämme oder Eisenstäbe transportiert, gehalten ist, die Enden des Holzes oder Eisens mit Tüchern oder Stroh zu umwickeln, widrigenfalls er Strafe bis zu 25 Dollars zu zahlen hat. Auch in London kommt man neuerdings notgedrungen zu ähnlichen Schutzbestimmungen. So untersagen die Reglements des London-Comity-Council spezialisierten Arten des Lastverkehrs die Benützung der City-Strassen zwischen abends zehn und morgens sieben Uhr. Lastfuhren können während dieser Zeit nicht die Strassen der Innenstadt befahren. – Es liesse sich wohl noch mancherlei durch Einführung eines besseren geräuschlosen Beton- oder Asphaltpflasters und ferner durch exaktere Verfügungen über die erlaubte Spurweite und den Radbelag der Lastwagen sowie über Nägel und Hufbeschlag der Pferde erreichen. Wir sehen an dem ungemein grossen beständig noch anschwellendem Bicykleverkehr (der nur durch die unaufhörlichen Warnungssignale geräuschvoll ist), dass Gummireifen im Verein mit geräuschlosem Pflaster keinen Verkehrslärm aufkommen lassen… Endlich ist nur Frage der Zeit, dass sich die Wohn- und Erholungssphäre der Grossstädter von ihren Verkehrsbezirken radikal abtrennt…

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In einer Abhandlung über Entartung hat Max Nordau die wachsende Empfänglichkeit für Lärm (wie übrigens alles, was irgendwie auf Geschmack und Kultur hindeutet), als ein Symptom „sozialer Neurasthenie” gekennzeichnet. Seine Satire malt folgendermassen den lärmfreien Zukunftstaat der „Entarteten“: „Nachdem es sich häufig ereignet hat, dass aufgeregte Personen, die einem plötzlichen Zwangsantrieb nicht widerstehen konnten, aus ihren Fenstern mit Windbüchsen und sogar ohne den Versuch der Heimlichkeit im offenen Überfall Gassenjungen totgeschossen haben, die schrille Pfiffe oder grundlose Gellquietsche ausgestossen, dass sie in fremde Wohnungen, wo von Anfängern Klavierspiel oder Gesang geübt wurde, eingedrungen sind und Metzeleien angerichtet, dass sie Dynamitanschläge auf Pferdebahnwagen ausgeführt haben, deren Schaffner läutete oder pfiff, ist es gesetzlich verboten worden, auf der Strasse zu pfeifen oder zu grölzen; für Klavier- und Gesangsübungen sind eigene Gebäude hergestellt worden, die so eingerichtet sind, dass kein Ton aus ihrem Innern nach aussen dringt, das öffentliche Fuhrwerk darf kein Geräusch machen und gleichzeitig ist auf den Besitz von Windbüchsen die schwerste Strafe gesetzt.” – Was hier im Hohn und zum Spott ausgesprochen wurde, nehme ich als ernstes Postulat der Zukunft in Anspruch; einen Teil seiner Verwirklichung hoffen wir noch zu erleben…


Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/47&oldid=- (Version vom 31.7.2018)