gibt es, wenn ich recht unterrichtet bin, bisher nur in Nürnberg einen „Verein zum Schutz gegen den Strassenlärm”, der seine Kräfte im Dienste von Schillers „erster Bürgerpflicht“ öffentlich geltend macht. Hingegen soll in England und Amerika schon weit mehr auf die Hygiene des Ohres geachtet werden als das in Deutschland und Österreich leider der Fall ist. Ich will eine Notiz aus einer New Yorker Zeitung hierhersetzen, aus der zu sehen ist, welchen Segen eine einzelne energische, hochgesinnte Persönlichkeit im Kampfe gegen das öffentliche Lärmgetöse zu stiften vermag. „Miss Rice schlug ein sehr zweckvolles Verfahren ein: sie ging nicht gegen den grosstädtischen Lärm überhaupt vor, sondern sie behandelte die Sache portionsweise. Zunächst eröffnete sie einen Feldzug gegen das Höllengetöse, das bisher im New Yorker Hafen durch die zahllosen Dampfpfeifen und Glocken der Schiffe, Petroleum- und Benzinboote, Vaporettos und Fähren veranstaltet wurde. Die energische Frau setzte sich mit Stadt- und Hafenbehörden, sowie mit einflussreichen Persönlichkeiten zu Lande und zur See in Verbindung und ruhte nicht, bis sie eine Verfügung der Hafenpolizei erreicht hatte, durch die das Lärmen mit Nebelhörnern und Sirenen sowie das überflüssige Tuten und Pfeifen allen Schiffen, welchem Lande sie auch angehören und was immer der Zweck ihrer Fahrten sei, innerhalb der Bai von New York strengstens verboten wurde. – Ihre nächste Massnahme war die Begründung eines Vereins zur Bekämpfung des Strassenlärms im Innern der nordamerikanischen Riesenstadt. Auch hier wird wieder schrittweise vorgegangen. In erster Linie soll der Lärm in der Nähe der Krankenhäuser unterdrückt werden. Der Leiter eines solchen veröffentlichte eine Erklärung, wonach lediglich infolge des fast unausgesetzt von allen Seiten in die Anstalt hereindringenden Lärms im Laufe eines Jahres zwei Kranke irrsinnig geworden sind. Auch andere Fachmänner und Hygieniker haben die Dringlichkeit von Vorschriften zur Sicherung der Ruhe der Krankenhäuser energisch betont. Man nimmt in New York allgemein an, dass demnächst die Behörden den Anträgen des von Miss Rice ins Leben gerufenen Antilärm-Vereins entsprechen werden. Dieser hat bereits eine Reihe ganz bestimmter Forderungen aufgestellt: in der Nähe von Krankenhäusern, Kliniken, Sanatorien und ähnlichen Anstalten soll das Läuten der Strassenbahnglocken aufhören, auch jeder Marktschreier, Drehorgelspieler wie jeder schreiende Trunkenbold durch einen Schutzmann fortgetrieben oder nötigenfalls verhaftet werden. Auch in der Nähe von Schulen, Erziehungsanstalten, grossen Pensionaten soll der Lärm inhibiert werden. Auch die Milchwagen, die in New York durch die aneinander schlagenden Blechkannen und unter Mitwirkung des meist erbärmlichen Strassenpflasters einen Heidenlärm veranstalten, sind schon ernsthaft aufs Korn genommen.” – Übrigens sei bemerkt, dass die Stadt New York auch
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/46&oldid=- (Version vom 31.7.2018)