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Seite:Der Lärm.pdf/17

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Zweites Kapitel.


Lärm und Kultur.


„Höflichkeit und Anstand verbieten Geschrei und Thränen. Die tätige Tapferkeit des ersten rauhen Weltalters hat sich bei uns in eine leidende verwandelt… Alle Schmerzen verbeissen, dem Streiche des Todes mit unverwandtem Auge entgegensehen, unter den Bissen der Nattern lachend sterben, weder seine Sünde noch den Verlust seines liebsten Freundes beweinen, sind Züge des alten nordischen Heldenmuts… Nicht so der Grieche!… Er will uns lehren, dass nur der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer sein könne, indess der ungesittete Trojaner, um es zu seyn, alle Menschlichkeit vorher ersticken müsse.”
Lessing (Laokoon).

Eine nie endende Kette von Qual und Pein zieht sich durch das Leben aller mit dem Gehirne arbeitender Menschen. Inmitten des unerschöpflichen Gelärmes, das unserm kurzen, schnell entflohenen Leben den Charakter der Börse oder Handelsmesse gibt, atmen wir unter dem Drucke einer Not, die keiner versteht und die uns niemand nachfühlt. Wir wissen, dass in uns nie zur Reife kommen wird, was Stille und Einsamkeit, Unabhängigkeit und Ruhe zu seiner Reife nötig hätte. Wir ringen vergeblich danach, Sammlung zu erlangen, um „im Reiche des Unhörbaren”, Ideen und Stimmungen zu verfolgen, die gleich Merkutios Königin Mab nur auf einem Wagen von Spinnweb kommen; zarter, flüchtiger, ungreifbarer als der Staub auf dem Flügel des Schmetterlings. Die Hämmer dröhnen, die Maschinen rasseln. Fleischerwägen und Bäckerkarren rollen früh vor Tag am Hause vorüber. Unaufhörlich läuten zahllose Glocken. Tausend Türen schlagen auf und zu. Tausend hungrige Menschen, rücksichtslos gierig nach Macht, Erfolg, Befriedigung ihrer Eitelkeit oder roher Instinkte, feilschen und schreien, schreien und streiten vor unsern Ohren und erfüllen alle Gassen der Städte mit dem Interesse ihrer Händel und ihres Erwerbs. Nun läutet das Telephon. Nun kündet die Huppe ein Automobil. Nun rasselt ein

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)