Gerade Wege strahlten von dort aus und führten an Rabatten vorbei. Päonien und Levkoien, Lavendel, Stockrosen und Reseden blühten da. Und lange Reihen Obstbäume gab es, kleine Zuckeräpfel und Klaräpfel, die im Herbst ganz durchsichtig wurden. Traumhafte Dome zartesten blassesten Rosas bildeten ihre Kronen, wenn sie im Frühling blühten, und die vielen Bienen flogen geschäftig ab und zu, eilend während der kurz bemessenen warmen Jahreszeit Vorräte in die gelben Bienenkörbe zu tragen. Ganz schläfrig wurde man von dem unaufhörlichen Summen. Und wirklich war Dorothee inmitten des Frühlingsblühens manchmal in einer der Pfeifenstrauchlauben einen Augenblick eingeschlafen und hatte geträumt, daß sie auch solch ein Bienchen sei, und es verstände, aus den heimatlichen Blumen süßen Honig einzuheimsen.
Aber oftmals lief die kleine Dorothee mit der sittsamen Jakonettpelerine über dem bloßen Hälschen und den langen Höschen, die unter den steif gestärkten Röckchen bis auf die Knöchel herabhingen, noch viel weiter, bis dorthin, wo der regelmäßige Garten sich in einen weiten natürlichen Park verlor und allmählich in Wiesen und Wald überging. Nicht gepflegt war dieser Wald, ungelichtetes Unterholz füllte ihn, Stämme sanken um und vermoderten unbeachtet. Wie Riesenkerzen standen die weißen Birken, ernst und feierlich, gegen die tiefe Nacht der Föhren, und unten dicht am Boden war ein Gewimmel von Blaubeeren und Strickbeeren, Pilzen und Farnen.
Außer den Letten, den Gouvernanten und Lehrern
Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/81&oldid=- (Version vom 31.7.2018)