sah Großmama wieder, die des Schlosses weite Räume spärlich beleuchtet hatten, da sie selbst, als junge Frau, eingezogen war. Sie erinnerte sich noch, wie man diese Lampen immer rechtzeitig mit ihrem Schlüssel aufwinden mußte, und wie sie so manchesmal durch den durchbrochenen Rand des Brenners den Öltropfen zugeschaut hatte, die im Innern abtropften. Ein Gefühl vergehender Zeit hatte dieses langsam regelmäßige Tropfen schon damals in ihr erweckt, wie der Rhythmus des eigenen pulsierenden Blutes. Jetzt mußte sie denken, wie viel, viel Zeit seitdem doch vergangen war! Öllämpchen brannte niemand mehr. Zuerst waren sie durch Petroleum und Gas ersetzt worden, dann war die Elektrizität gekommen, vor deren Helligkeit jedes andere Licht als kärglicher Notbehelf erschien. Großmama hatte all diese Wandlungen miterlebt, und das eigene Blut, das zur Zeit der Öllampen ungestüm in den Adern gepocht hatte, floß jetzt langsam und träge, wie ein versandender Fluß, der sich dem Ende, dem Aufgehen in größerer Einheit nähert – ja, recht langsam und müde war jetzt sein Schlag in dem bläulich hervortretenden Geader, aber es pochte doch noch immer, wenn auch matt – anderes junges Blut – vieles, vieles – auch solches, das von ihr selbst abstammte – das war seitdem, mitten in seinem noch raschen Kreislauf, jäh vergossen worden. Seine unzerstörbaren Lebenskräfte düngten jetzt ferne Erden, würden wieder erstehen in wogendem Korn und leuchtenden Blumen – zur Unkenntlichkeit gewandelt und doch dieselben. Aber auch der Entschlafenen geheimnisvollster
Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/55&oldid=- (Version vom 31.7.2018)