gesagt haben, daß sie diejenige sei, die in Jahresfrist gar leicht im Kreise fehlen konnte. Ohne sonderlichen Schrecken würde sie das gedacht haben, denn was lag daran, ob solch langes Leben noch um eine kleine Zahl Erdentage verlängert wurde oder nicht. Es war ja doch eigentlich zu Ende und war wohlangefüllt gewesen. Jetzt aber konnte sie gar nicht, wie sie es sonst getan, an irgendeine Gefährdung des eigenen Daseins denken. Das schien plötzlich gefeit. Die Gefahr betraf ja die jungen Leben – die drei dicht bei ihr, die andern hier in der Kirche, die vielen im ganzen großen Reich – sie, die alle erst Anfänge schienen. Das allein war das Schreckliche.
Von ihrem Platze aus konnte Großmama gerade den Gedenkstein sehen, den sie dem Mann und Sohn errichtet hatte, die vor vierundvierzig Jahren ins Feld gezogen und nicht heimgekehrt waren. Sollte nach unerforschlichem Ratschluß wieder einmal in der Geschichte der Augenblick gekommen sein, da viel Saat von Gott gesäet für die Garben reif befunden würde? – – –
Zum Nachmittag hatten sich, alter Gewohnheit gemäß, eine Menge Gratulanten aus der Nachbarschaft angesagt. Aber schon beim Verlassen der Kirche kamen die ersten Absagen. Da waren Eltern, die telephonierten, daß sie zu ihren Söhnen fuhren, um sie, was auch kommen möge, noch gesehen zu haben; Gutsbesitzer, die vor ihrer wahrscheinlichen Einberufung die landwirtschaftlichen Arbeiten möglichst anordnen wollten; Regierungsbeamte, die ihre Posten nicht mehr verlassen durften, da jeder Augenblick die wichtigsten Befehle
Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/27&oldid=- (Version vom 31.7.2018)