geruht und sicher Wohlgefallen an ihrem weisen, friedlichen Walten gefunden, da kamen ihm ganz von selbst die Worte, daß Gott liebevoll herabschaue auch auf das ganze deutsche Volk, und daß, was er auch an dessen Wandel vielleicht mit Schmerz in all den Jahren gesehen haben mochte, Mangel an Friedfertigkeit doch keinesfalls je darunter gewesen sei. Das Gefühl, das alle erfüllte, zitterte auch in der Rede des Pastors: Angst war es keineswegs, und in jenen Stunden, da nicht Krieg, sondern erst Kriegsgefahr herrschte, auch noch nicht eigentlich Zorn und Entrüstung, eher ein Erstaunen, daß solcher Frevel überhaupt möglich sein sollte. Das Schlußgebet, das für Großmama weitere Jahre erflehte, klang denn auch aus in der Bitte, daß diese Jahre vom Frieden gesegnet und das unabwendbar Scheinende durch Gottes Güte doch noch verhindert werden möchte.
Sie beteten es alle inbrünstig, am inbrünstigsten wohl Großmama selbst oben in der Loge zwischen den langaufgeschossenen Enkeln. Aber es ward ihr keine unmittelbare innere Antwort, kein Bewußtsein der Erhörung, wie oftmals nach Gebeten. Sie glaubte nur immer wieder dieselbe beklommene Frage in sich zu hören, die sie seit dem Frühmorgen verfolgte: Werden wir je wieder alle zusammen diesen Tag hier so begehen dürfen, oder ist es das letztemal? Das war ja nun bei einer Achtzigjährigen kein so verwunderliches Gefühl, und auch ohne alle Kriegsgerüchte wären Großmama an diesem Tage wohl ähnliche Gedanken gekommen. Aber dann würde sie sich in stiller Wehmut
Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/26&oldid=- (Version vom 31.7.2018)