den Frauen aller Länder und Stände seit jeher geliebt worden, und so gab es denn auch in des Königs Reich manche Hütte aus Palmenblättern und manchen zinnengekrönten Palast, wo weiche Arme, pochende Herzen und zärtliche Lippen sehnsüchtig ihres Herrschers harrten.
Und der König achtete gern der Blumen, die ihm am Wege blühten.
Von Donna Miranda, der schönsten Frau der Insel, wurde flüsternd erzählt, daß der König sie heimlich besuche in ihrem weißen Landhaus oben auf der Hochebene, am Fuß des Gebirges, wo oftmals Jagden abgehalten wurden. - Auch zu der Königin war diese Kunde gedrungen; doch was sie dabei empfunden, hatte sie der Welt verborgen, und wie alle, denen die Gabe der Mitteilsamkeit versagt ist, fand sie nirgends viel Mitleid, man sagte, sie sei ja so kalt wie die schneebedeckten Berge.
Heute sicherlich dachte sie an andere Gefahren.
Als der König freundlich die sich entfernenden Marien gegrüßt, sank er müde auf die Bank neben der Königin nieder. Sein beladenes Herz schüttete er vor ihr aus, die völlige Ermattung zeigend, die mit phantastischen Plänen oftmals bei ihm wechselte. Es lag etwas Knabenhaftes in seinem Drang nach Aussprache und in der Erleichterung, die er empfand, wenn sie seine Sorgen kannte.
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/091&oldid=- (Version vom 31.7.2018)