Als dann nach Monden ein Bote kam, zu melden, daß Tuspa von Feindes Pfeil gefallen, fand er Malintzin nicht mehr: sie hatte den Spruch erfüllt, war dahingesiecht und, ehe noch der Mango Blüten verwelkt, in das Todesreich eingegangen, weil sie ohne Tuspas Liebe nicht zu leben vermochte.«
Maria de los Dolores schwieg. In Maria de la Soledads Augen standen Tränen wie Tautropfen in dunkeln Blütenkelchen, und sie fragte leise: »War so viel Liebe nicht schön, o Königin?«
Doch die Herrscherin antwortete: »Eine Närrin war Eure Malintzin, ihr Mädchen! Anfeuern hätte sie ihn sollen und ihm die Waffen reichen, die Neidenswerte, die einen Mann besaß, der nach Kampf und Ruhm verlangte.«
Während die Königin noch sprach, tönten Schritte in der schattigen Allee. Die dunkeläugigen Marien erhoben sich und verneigten sich mit wiegender Anmut gleich bunten Glockenblüten an biegsamen Lianen.
Der König nahte.
Voll sehnsüchtiger Bewunderung hoben die Blicke all der nachtfarbenen Augenpaare sich empor zu ihm. Diesen Töchtern des Südens mochte ihr neuer Herrscher wie ein Gott blassen nordischen Lichtes erscheinen mit dem hellgoldenen Haar und dem weißen Antlitz,
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/089&oldid=- (Version vom 31.7.2018)