Ihre Gedanken hatten die beiden so verschiedenen Paare verschmolzen – waren es doch in der ewigen Wiederkehr der Geschicke gleiche Sünder, gleiche Opfer gewesen. Was sie diesen tat, tat sie den anderen. Wenn sie diese erlöste, mußten auch jene Ruhe finden. Ein grenzenloses Sehnen zu helfen, Verhängnis schützend abzuwenden, erfüllte ihr ganzes Herz, und vor Erregung bebend rief sie: »Ihr sollt die beiden nicht länger martern, ich dulde es nicht!« – Sie streckte die Hand nach der Trommel aus, doch der Alte zog sie trotzig zurück. Ratlos blickte sie nach dem Fakir. Und wirklich kam ihr von ihm unerwartete Hilfe.
»Warum willst du die Trommel nicht geben?« sagte er in seiner verträumten Art zum Gaukler. »Es ist ja all das schon so viele, viele Jahre her, – was kann dir an dem armen bleichen Gebein noch liegen?«
»Wie sollte ich dir das wohl erklären?« erwiderte der Gaukler geringschätzig, »Heilige, wie du, haben ja nie gelebt. Aber jedesmal, daß ich die Trommel schwinge und die Schädel dieser beiden dröhnen höre, wird mein altes, schon halb erstarrtes Blut noch einmal heiß vor Haß – und das ist mir heute höhere Wonne, als es je Liebesglut in der Jugend war. Die Memsahib dort wird es vielleicht eher noch als du verstehen.«
»Nein, nein!« schrie sie auf, »das versteh ich längst
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/038&oldid=- (Version vom 31.7.2018)