daß er, der gewiegte Jurist, der sich sein halbes Leben lang in allerlei Vorbeugungs- und Strafmaßregeln geübt hatte, auf einmal ratlos war und nicht wußte, was diesem Jungen zu sagen.
„Hör’ mal, gib mir dein Ehrenwort, daß du nicht mehr rauchen wirst,“ sagte er.
„Mein Ehrenwort!“ sang Sserjoscha, stark auf den Blaustift drückend und sich über die Zeichnung beugend. „Mein E – eh – renwo – ort! Ja! Ja!“
– Weiß er denn auch, was das Ehrenwort bedeutet? – fragte sich Bykowskij. – Nein, ich bin ein schlechter Lehrer! Wenn jetzt irgendein Pädagog oder Jurist in meinen Kopf hineinblickte, so würde er mich einen Waschlappen nennen und mir übermäßiges Klügeln vorwerfen… Aber in der Schule und vor Gericht werden alle diese verdammten Fragen viel einfacher gelöst als zu Hause: zu Hause hat man es mit Menschen zu tun, die man wahnsinnig liebt, die Liebe ist aber anspruchsvoll und macht die Sache kompliziert. Wäre dieser Junge nicht mein Sohn, sondern mein Schüler oder Angeklagter, so wäre ich nicht so feig und hielte meine Gedanken zusammen! … –
Jewgenij Petrowitsch setzte sich wieder vor den Tisch und nahm eine der Zeichnungen Sserjoschas in die Hand. Die Zeichnung stellte ein Haus mit schiefem Dach und mit Rauch dar, der aus den Schornsteinen im Zickzack wie ein Blitz bis an den Rand des Blattes ging; neben dem Hause stand ein Soldat mit Punkten statt Augen und einem Bajonett, das an die Zahl 4 erinnerte.
„Der Mann kann doch nicht größer sein als das Haus,“ sagte der Staatsanwalt. „Schau nur: dein Dach reicht dem Soldaten gerade bis an die Schulter.“
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/071&oldid=- (Version vom 31.7.2018)