Ketzerrichter; aber auch das Vaterhaus schützte nicht vor Verdacht und Angebereien. Freundschaft und Feindschaft konnten gleich verderblich werden; die Bande des Blutes wirkten gefahrdrohend nach auf Kinder und Kindskinder. Denn hatte sich eine Mutter unter den Qualen der Folter als Hexe bekennen müssen, so traf die Kinder die Anklage, daß sie eine Teufelsbrut seien; wurde ein Familienvater verurteilt, so fahndete man bald auch auf seine Hausangehörigen, als von demselben Verbrechen selbstverständlich angesteckt.
War nun die Sache von irgend einer Seite vor den Untersuchungsrichter gebracht, so sammelte dieser die Verdachtsgründe, ohne daß der Beteiligte etwas davon erfuhr. Freunde und Feinde, Nachbarn und Fremde wurden über sein bisheriges Thun und Lassen, über die Gerüchte, die sie über ihn gehört, über alle Worte, die er zufällig oder absichtlich gesprochen hatte, befragt und ihnen strenge Verschwiegenheit auferlegt und zugesichert. Ihre Aussagen bildeten das Material der Anklageschrift, auf welche hin das Gericht die Einleitung des Prozesses und zunächst die Festnahme des Angeklagten verfügte.
Oskar Wächter: Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland. W. Spemann, Stuttgart 1882, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Vehmgerichte_und_Hexenprozesse_in_Deutschland_W%C3%A4chter.djvu/133&oldid=- (Version vom 31.7.2018)