unsicher tappend an den Wänden, wie ein seelenloser Schemen ohne Kopf.
Endlich Worte – verlogene Worte – wie verdorrt: „Vielleicht – – – – – – – – vielleicht – – liebt sie dich anders, als – – – – als die andern.“
Totenstille. Wir saßen und hielten den Atem an: – daß nur die Lüge nicht stirbt, – – sie schwankt hin und her auf gallertenen Füßen und will fallen, – – – nur eine Sekunde noch! – –
Langsam, langsam begannen sich Tonios Züge zu verändern: Irrlicht Hoffnung!
– – – Da war die Lüge Fleisch geworden! – – –
– – – – – – – – – – – –
– – – Soll ich Ihnen noch das Ende erzählen? Mir graut, es in Worte zu kleiden, – stehen wir auf, mir läuft ein Schauer über den Rücken, wir haben zu lange hier auf der Bank gesessen. Und die Nacht ist so kalt.
– – – Sehen Sie, das Fatum blickt auf den Menschen wie eine Schlange, – es gibt kein Entrinnen. – Tonio versank aufs neue in einen Wirbel rasender Leidenschaft zu Mercedes, er schritt an ihrer Seite, – ihr Schatten. – Sie hielt ihn umklammert mit ihrer teuflischen Liebe wie ein Polyp der Tiefsee sein Opfer.
– – – An einem Karfreitag packte das Schicksal zu: Tonio stand frühmorgens im Aprilsturm vor der Kirchentür, barhaupt, in zerrissenen Kleidern, die Fäuste geballt, und wollte die Menge am Gottesdienste hindern. – Mercedes hatte ihm geschrieben – und er war darüber wahnsinnig geworden; – in seiner Tasche fand man ihren Brief, in dem sie ihn um eine Bologneser Träne bat. – –
Und seit jenem Karfreitag steht Tonios Geist in tiefer Nacht.
Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/086&oldid=- (Version vom 31.7.2018)