Manuel zog mich schweigend beiseite.
Es war eine merkwürdige Geschichte, die er mir hastig flüsternd erzählte: Mercedes, Satanistin, – eine Hexe –! Tonio hatte es aus Briefen und Schriften, die er bei ihr gefunden, entdeckt. Und die beiden Russen waren von ihr durch die magische Kraft der Imagination, – mit Hilfe von Bologneser Tränen, – ermordet worden. –
Ich habe das Manuskript später gelesen: Das Opfer, heißt es darin, wird zur selben Stunde in Stücke zerschmettert, wenn man die Bologneser Träne, die von ihm im Munde getragen und dann in heißer Liebe verschenkt wurde, in der Kirche beim Hochamt zerbricht.
Und Ivan und sein Bruder hatten ein so plötzliches schauerliches Ende gefunden! –
– – – Wir begriffen Tonios starre Verzweiflung. – Auch wenn am Gelingen des Zaubers nur der Zufall die Schuld getragen hätte, welcher Abgrund dämonischer Liebesempfindung lag in diesem Weibe! – Ein Empfinden, so fremd und unfaßbar, daß wir normalen Menschen mit unserer Erkenntnis wie in Triebsand versinken, wenn wir den Versuch wagen, mit Begriffen in diese schrecklichen Rätsel einer krebsigen Seele hinabzuleuchten. – –
Wir saßen damals die halbe Nacht – wir drei – und horchten, wie die alte Uhr tickend die Zeit zernagte, und ich suchte und suchte vergeblich nach Worten des Trostes in meinem Hirn, – im Herzen, in der Kehle; – und Tonios Augen hingen unverwandt an meinen Lippen: er wartete auf die Lüge, die ihm noch Betäubung bringen konnte. – – – –
Wie Manuel – hinter mir – den Entschluß faßte –, den Mund öffnete, um zu reden, – ich wußte es, ohne mich umzusehen. Jetzt – jetzt würde er es sagen. – – Ein Räuspern, ein Scharren mit dem Stuhl, – – – dann wieder Stille, eine ewig lange Zeit. Wir fühlten, jetzt tastet sich die Lüge durch das Zimmer,
Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/085&oldid=- (Version vom 31.7.2018)