ist’s mit ihm?“ fragt ein Neuling seinen Nebenmann. – „Lukawsky, der Mörder, ist zum Tode verurteilt durch den Strang, und heute, glaub’ ich, soll sich’s entscheiden, ob das Urteil bestätigt wird oder nicht.“ –
„Der Präsident hat ihm die Bestätigung des Urteils auf dem Amtszimmer verlesen.“ – „Der Lukawsky hat kein Wort gesagt, nur getaumelt hat er.“ – „Aber draußen hat er mit den Zähnen geknirscht und einen Wutanfall bekommen.“ – „Die Aufseher haben ihm die Zwangsjacke angelegt und ihn mit Gurten auf die Bank geschnallt, daß er kein Glied rühren kann bis morgen früh.“ – „Und ein Kruzifix haben sie ihm hingestellt.“ – Bruchstückweise hatte der Gefangene den Vorbeimarschierenden dies zugerufen. –
„Auf Zelle Nr. 25 liegt er, der Lukawsky,“ sagte einer der ältesten Sträflinge. – Alle blicken zum Gitterfenster Nr. 25 hinauf. –
Der Aufseher lehnt gedankenlos am Tor und stößt mit dem Fuß ein Stück altes Brot beiseite, das im Wege liegt. –
In den schmalen Gängen des alten Landgerichtes liegen die Kerkertüren dicht nebeneinander. – Niedrige Eichentüren, in das Mauerwerk eingelassen, mit Eisenbändern und mächtigen Riegeln und Schlössern. – Jede Tür hat einen vergitterten Ausschnitt, kaum eine Spanne im Geviert. Durch diese ist die Neuigkeit gedrungen und läuft längs der Fenstergitter von Mund zu Mund: „Morgen wird er gehenkt!“ –
Es ist still auf den Gängen und im ganzen Hause, und doch herrscht ein feines Geräusch. Leise, unhörbar, nur zu fühlen. – Durch die Mauern dringt es und spielt in der Luft, wie Mückenschwärme. – Das ist das Leben, das gebundene, gefangene Leben! –
Mitten im Hauptgang, dort wo er weiter wird, steht eine alte leere Truhe ganz im Dunkeln.
Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/042&oldid=- (Version vom 31.7.2018)