Wildenbruchs neuem Spektakelstück, dem ‚neuen Herrn‘ – das übrigens ein unglaublich taktloser Angriff auf Bismarck ist – hat er persönlich gezeigt, wie ein Hohenzoller sich bewegen und benehmen muß,“ – fügte ein anderer hinzu, „kurz, der liebe Gott kann alles, aber der Kaiser kann alles besser,“ lachte Onkel Walter. Und die alte Tante schüttelte sich vor Vergnügen: „Als roi soleil hat er sich ja auch schon malen lassen!“
Nur die Kleves waren verlegen und still, und Papa hatte sich mit bezeichnenden Blicken auf die jungen Offiziere schon oft vernehmbar geräuspert.
„Nun aber genug des grausamen Spiels,“ unterbrach er schließlich den allgemeinen Redefluß. „Ich komme gewiß nicht in den Verdacht, ein Sachwalter des neuen Kurses zu sein, wenn ich daran erinnere, daß wir doch auch Ursache haben, dem jungen Herrn zuzustimmen. Schien er im Überschwang jugendlicher Gefühle den Herren Sozialdemokraten Konzessionen zu machen und den Arbeitern die Backen zu streicheln, so hat er doch beizeiten gestoppt und andere Saiten aufgezogen – –“
Doch die Verteidigung steigerte nur die Heftigkeit des Angriffs. Merkwürdig, welche Reizbarkeit alle Menschen befallen hatte, wie es fast unmöglich schien, eine ruhige Unterhaltung zu führen.
„Du siehst die Dinge wirklich nur von außen, lieber Hans,“ rief Onkel Walter, der sich als Reichstagsmitglied fühlte und sich gern das Ansehen gab, als wäre er in alle politischen Kulissengeheimnisse eingeweiht; „tatsächlich steuert man direkt in den Sozialismus hinein, und das um so rascher, je mehr man uns, die einzigen Stützen der Monarchie, vor den Kopf stößt. Ist es erhört,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/479&oldid=- (Version vom 31.7.2018)