gefiel die unverfälschte Echtheit des Alten. Er schien mirs an den Augen abzusehn, und reichte mir über den Tisch hinweg die Hand.
„Verzeihung, mein gnädigstes Fräulein,“ sagte er lächelnd, „ich bin wirklich ein alter Mummelgreis, daß ich in Anwesenheit junger Damen so ein Zeug schwätze! Übrigens – ich wills gleich wieder gut machen – richten Sie Ihrem Herrn Vater mein Kompliment aus. Ich traf ihn vor vier Wochen in Stettin bei Ihrer Majestät, er lief mir aber davon, ehe ich ihm selber sagen konnte, wie glänzend seine Führung im Manöver war. In der Umgebung Seiner Majestät herrschte nur eine Stimme darüber.“
Ich hatte bis dahin vom pommerschen Kaisermanöver, bei dem mein Vater das Ostkorps; den „markierten Feind“, zu kommandieren gehabt hatte, nur wenig gehört. „Der Kaiser war außerordentlich gnädig,“ hatte er mir geschrieben, „die Ernennung zum Divisionskommandeur kann jeden Tag erfolgen,“ hatte Mama hinzugefügt. Ich freute mich nun doppelt, Näheres zu erfahren. „Sie wünschen am Ende eine Kriegsberichterstattung mit allen Schikanen?“ frug Graf Lehnsburg und baute aus Brotkrümeln und Papierschnitzeln ein ganzes Schlachtfeld auf, ohne erst meine Antwort abzuwarten.
„Sehen Sie hier der Teller, das ist Stettin; die Papierschnitzel davor, das ist das Dorf Brunn, und hier die Semmeln, das sind die Höhen, die der General von Kleve bereits im ersten Morgengrauen des 14. September besetzt hielt. Er gehört noch zu der alten Sorte, wissen Sie, die von Anno 70 her weiß,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/349&oldid=- (Version vom 31.7.2018)