Gräfinnen, deren graziöse Pirouetten noch vor kurzem die Balletthabitués der Großstädte entzückt hatten; und um die Galerie moderner Typen der ‚guten‘ Gesellschaft voll zu machen, fehlte es nicht an österreichischen Erzherzogen, sogar nicht an einem König, – wenn es auch nur einer a. D. war, der von Neapel, – einem alten Roué, und seiner wunderschönen extravaganten Königin. Dazwischen bewegte sich das Künstlervolk – ein wenig geniert die einen, ängstlich bestrebt, es den Vornehmen möglichst gleich zu tun, die anderen, Menschen von genialer Ungebundenheit unter ihnen, und ein paar Auserwählte mit jener seltenen angeborenen Größe, die sich überall mit gleicher Selbstverständlichkeit zu bewegen vermag. Von mancher schönen österreichischen Komteß flüsterte man sich zu, daß sie an der Entstehung Makartscher Frauengestalten nicht unbeteiligt gewesen war, und noch heut ließ sie es gern geschehen, wenn die Maler sich an ihr begeisterten; ein Hauch von Romantik, der die Dichter unweigerlich anzog, umschwebte den rotblonden Kopf einer graziösen Baronin, von deren Beziehungen zum Kronprinzen von Österreich Frau Fama vernehmlich flüsterte. All das flirtete und rauschte in knisternder Seide und weichem Spitzengeriesel am hellen Strand des blauen Tegernsees, wo vor Jahrhunderten in klösterlicher Einsamkeit der fromme Mönch Werinher der allerseligsten Jungfrau süße Weisen gesungen hatte, oder stieg in kokettem Jagdkostüm auf bequemen Wegen zu den Sennhütten hinauf, deren Gäste noch vor kurzem nur Dirndeln, Jäger und Wilddiebe gewesen waren. Am späten Nachmittag rollten die Equipagen ins kreuther Tal, wo hoch oben, von Bergen eng umschlossen, auf
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/338&oldid=- (Version vom 31.7.2018)