Oder verband, daß er die Schleusen mit vielen schönen Bäumen umpflanzen ließ, dankte ihm jeder, der nach Bromberg verschlagen wurde, – diese einzige Schönheit des Orts machte es allein möglich, hier und da frei aufzuatmen.
Wie die Tiere sich in Form und Färbung ihrer Umgebung anpassen, so nehmen die Menschen allmählich die Stimmung ihres Wohnorts an. Ein schweres Grau lagerte daher über der bromberger Geselligkeit, selbst die Ballgeigen litten unter einer gewissen Apathie. Dabei tanzte man unermüdlich mit einem erwartungsvollen Eifer, als gelte es, das Vergnügen schließlich doch einzuholen. Aber es lief immer wieder davon. Der Flirt stand in schönster Blüte, und der Klatsch noch mehr, – womit hätten sich die Leute auch sonst beschäftigen sollen?! Es wimmelte von Uniformen aller Art; aber selbst die schönste kavalleristische Farbenpracht vermochte nicht über den Talmiglanz des Lebens hinweg zu täuschen. Ich verkehrte viel mit jungen Frauen; zwischen mir und den jungen Mädchen bestand nun einmal ein gespanntes Verhältnis. „Ihr Leben allein widert mich an“, schrieb ich an Mathilde, „ein bißchen Musik, ein bißchen Malerei, ein bißchen Wohltätigkeit und unter dieser Maske der guten Gesellschaft entweder nichts, oder ein unklares Durcheinander von Romantik und unterdrückten kleinen Passionen. Nie ein starkes Gefühl, nie ein brennendes Interesse. O, daß ihr kalt oder warm wäret!“ Die Frauen hatten doch einen Lebensinhalt: ihre Kinder, ihren Mann, ihre Häuslichkeit; freilich: Zeit, an ihre Bildung zu denken, hatten sie nicht. Wie viele, die abends in eleganter Toilette, Lebenslust heuchelnd,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/327&oldid=- (Version vom 31.7.2018)