die letzten Laternen erloschen, kam es mit grausamer Klarheit über mich. „Hellmut!“ rief ich noch einmal und breitete die Arme aus. Er stürzte auf mich zu, bedeckte mir Mund und Augen und Wangen und Hände mit wilden Küssen – und verschwand, wie von Furien gepeitscht, in der dunkeln Allee.
Minutenlang blieb ich wie angewurzelt stehen, dann strich ich mechanisch mit den Händen über den nassen Mantel. Ich mußte mich vergewissern, wer das eigentlich war, der hier draußen im Regen stand. Auch an die Stelle griff ich, wo mir das Herz noch eben wild geschlagen hatte. Es war wohl nicht mehr da – es war wohl tot – oder am Ende in den Schmutz gefallen. Ganz ängstlich sah ich in die schwarzen Pfützen zu meinen Füßen. Jetzt müßt ich eigentlich schlafen gehn – fuhr es mir durch den Kopf. – Gott, war das Täschchen schwer und der nasse Mantel. – Ob ich mich lieber auf die Bank dort setzen sollte?! – Nach ein paar Schritten stockte mein Fuß: nein, das ging nicht, ringsumher standen schrecklich viele Menschen und starrten mich an. Und dann rissen sie alle den Mund weit auf, und von allen Ecken dröhnte und kreischte es –
Oh, la marquise Pompadour –
Elle connait l’amour –
Et toutes ses tendresses –
La plus belle des maîtresses – –
Ich floh die Stufen empor, – riß die Türe auf und setzte mich erschöpft auf die Treppe. Aber sie krochen mir nach – auf Händen und Füßen – wie Würmer. Mit den letzten Kräften schlich ich in mein Zimmer. Und plötzlich kam mir zum Bewußtsein, daß ich – Alix
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/306&oldid=- (Version vom 31.7.2018)