für alles schwärmte; der laute Ton des Künstlervölkchens bei Landsbergs, der mir früher ersehnte Offenbarung natürlichen Fühlens gewesen war, tat mir weh, je mehr ich die falsche Note hörte. Das Tiefste versteckten schließlich alle: wir durch schweigende Zurückhaltung, sie durch lärmende Heiterkeit. Ich zeigte Landsberg einige Szenen meines Werks, die mir am besten gelungen schienen. „Bringen Sies mir, wenn es vollendet ist, vielleicht läßt es sich aufführen,“ sagte er nach der Lektüre, – nichts weiter. Wäre es das Außerordentliche gewesen, das ich hatte schaffen wollen, er hätte sicherlich anders gesprochen!
Ich hielt mich streng an klassische Vorbilder und übertrug das ursprünglich in Prosa oder in freien Rhythmen Geschriebene in fünffüßige Jamben. Alle Wärme, alle Kraft ging dabei verloren. Je mehr ich umarbeitete, feilte, mit der Form und der Technik kämpfte, desto nüchterner und fremder sah mich meine eigene Arbeit an. Und schließlich kam ein Tag, an dem ich verzweifelt vor den vollgeschriebenen Blättern saß, und wußte, daß ich meiner Aufgabe nicht gewachsen war. Wie ein steuerloses Schiff auf brandendem Meere war ich wieder; eine Fata Morgana waren meine Hoffnungen gewesen; das Leben sah mich an, eine leere, dunkle, feuchtkalte Höhle, die von den Fackeln meiner Träume noch eben in magischem Zauber geleuchtet hatte.
„Ganz oder gar nicht,“ – das war mir allmählich zum Wahlspruch geworden. So verurteilte ich denn fast alles, was ich seit meiner Kindheit geschrieben hatte, zum Feuertode, verschnürte und versiegelte das Übriggebliebene – darunter auch mein verunglücktes jüngstes
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/266&oldid=- (Version vom 31.7.2018)