fern der Stadt, wo vor Jahrhunderten Walvaters Opferstein rauchte, die rauschenden Buchen miteinander flüsterten.
Es war Sigrun, König Högnis Tochter, die ich sah, – Sigrun, die Schildjungfrau, die in heißem Freiheitsdrang und starker Liebe den Todfeind ihres Vaters, Helgi, den Hundingstöter, vor seinen Mördern schützte und sich ihm als Gattin verband, – Sigrun, die Treueste der Treuen, und die geliebteste, um deretwillen Helgi Walhalls Wonnen verschmähte. Zu einem Drama wollt’ ich ihre Geschichte gestalten; der Konflikt zwischen kindlichem Gehorsam und Mannesliebe war sein Mittelpunkt, seine Lösung der freiwillige Tod der Heldin.
Meist schrieb ich des Nachts. Am Tage fürchtete ich zu sehr die Störung, die mich aus allen meinen Himmeln riß. Die Friseuse, die Schneiderin, die Wäsche, die Besuche, – nichts durft ich versäumen. „Wäre ich ein Mann, es würde dir nicht einfallen, mich von der Arbeit abzurufen!“ rief ich bei solcher Gelegenheit einmal verzweifelt Mama entgegen.
„Gewiß nicht!“ antwortete sie mit herbem Lächeln, „da du aber ein Weib bist, mußt du frühzeitig lernen, daß wir nie uns selbst gehören.“
Tante Klotilde fiel mir ein, die mir vor Jahren etwas ähnliches gesagt hatte, und Groll gegen mein Schicksal erfüllte mich.
Mit dem Fortschritt der Arbeit wurde meine Stimmung immer trüber. Ich fühlte, daß ich meinem Werk den ganzen Gluthauch des Lebens, den ich dunkel empfand, nicht einzuflößen vermochte. Der guten Lisbeth Beifall machte mich stutzig, nachdem ich erfuhr, wie wahllos sie
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/265&oldid=- (Version vom 31.7.2018)