die mich amüsiert, sondern die Rolle, die ich in ihr spiele,“ schrieb ich an Mathilde, „denn an sich ist sie tödlich langweilig und leer – leer – leer wie ein ausgeblasenes Ei. Damit es was taugt, muß ich es erst mit meinen Farben bemalen.“
Ein paar Wochen vor unserer Abreise kam ein Freund meines Onkels, Herr von Ollech, Rittmeister bei den Gardedragonern, nach Pirgallen. Schon auf den Königsberger Rennen hatte ich ihn kennen gelernt, und als wir abends zum Souper in großer Gesellschaft, die aus lauter Dohnas, Eulenburgs und Lehndorfs bestand, zusammen saßen, war er der Rettungsring gewesen, an den ich mich gehalten hatte, um nicht in dem unvermeidlichen Meer kindlicher Spiele unterzugehen. Er war eben in Bayreuth gewesen und hatte den Parsifal gehört. Das allein hätte genügt, um ihn mir interessant zu machen; sein ernstes musikalisches Verständnis war eine weitere starke Anziehungskraft. Ich freute mich, daß er mit uns heimwärts fuhr.
Abend für Abend saß er dann im Halbdunkel des großen leeren Saals und entlockte dem alten Klavier klagende und jauchzende, zärtliche und sehnsüchtige Töne. Die kleinen Amoretten über den Türen, auf deren runde Körperchen das Licht weniger Kerzen einen rosigen Schein warf, schienen zu atmen, und die Blätter der Linden draußen bebten im Takt. Ich saß vor der offnen Türe, den mondhellen Garten vor mir, und das Zaubernetz wogender Rhythmen umspann mir dichter – immer dichter Herz und Sinne. Dankbar hingerissen erwiderte ich den Druck der Hand des Spielers, wenn er schließlich zu mir heraustrat und mir Gute Nacht bot. Sah ich ihn
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/250&oldid=- (Version vom 31.7.2018)