tausendmal“ fügte sie tief gerührt hinzu, als sie davon sprach; trotz allem Fleiß konnte sie aber doch nicht das Nötigste schaffen. Inzwischen kamen die Kinder herein und drängten sich halb neugierig halb eingeschüchtert in einer Zimmerecke zusammen. „Mit die Kinder is halt a Kreuz,“ sagte die Mutter seufzend, „eins – das ginge noch an, aber vier, da weiß man nicht aus noch ein vor Sorg und Kummer.“ Der Kleinste stolperte in diesem Augenblick über seine eignen dünnen rachitischen Beinchen und fiel auf einen der Leinwandhaufen. Die Mutter patschte ihm erregt auf die Händchen, zankte gleich alle Viere, daß sie „so arg im Wege“ stünden und stieß sie unsanft in die Küche, mit der Mahnung, dort ganz still zu sitzen. Mir krampfte sich das Herz zusammen vor Mitleid mit diesen armen Geschöpfen, die der eignen Mutter nur eine Last waren und es mit brutaler Deutlichkeit von ihr selbst erfahren mußten. Fast war ich schon fertig mit meinem Urteil über die Hartherzigkeit der armen Näherin, als sie mir weinend erzählte, wie sie des besseren Verdienstes wegen ein Jahr lang in die Fabrik gegangen wäre, da sei aber ihr Jüngstes aus dem Fenster gestürzt, während sie abwesend war, und seitdem könne sie die Kinder nicht allein lassen. Aus lauter Angst um sie nähme sie alle Vier sogar mit, wenn sie liefern ginge. „Glei spräng i nach, wenn noch eins da nunter fiele!“
Ich verlor alle Selbstbeherrschung, – nie hatte ich auch nur im entferntesten von solch einem Elend gewußt –, die Tränen strömten mir aus den Augen. Ein schwaches Lächeln huschte über die verhärmten Züge der Frau; sie ließ die Arbeit sinken und
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/186&oldid=- (Version vom 31.7.2018)