augsburger Patrizier gewesen war, mit großen Kosten ausgebaut hatte. Mich umfing die Atmosphäre von Schönheit und Reichtum gleich beim ersten Eintritt wie ein weicher, wohliger Mantel. Das strahlend erleuchtete Treppenhaus glich mit seiner Fülle von exotischen Pflanzen einem Palmengarten, und der süße Duft, der die vielen Räume durchzog, legte sich mir wie ein berauschender Traum auf die Stirne. Ich wurde in den zweiten Stock in meine Zimmer geführt: auch hier Blumen und viel Licht und fröhliche Farben. Viel weiter noch als von der Warthe bis zum Lech fühlte ich mich fern von all den Sorgen des Elternhauses und all den Herzens- und Gewissensschmerzen, die mich niedergedrückt hatten. Zufrieden und dankbar, in der Erwartung lauter schöner Dinge, schmiegte ich mich abends in die weichen Kissen meines Betts.
Es dämmerte, als ich geweckt wurde. „Frau Baronin wünschen, daß das gnädige Fräulein früh aufsteht,“ sagte die Jungfer. Nicht wenig erstaunt, erhob ich mich und fing an auszupacken. Der knurrende Magen trieb mich schließlich herunter; ich holte mir ein Brötchen aus der Küche, da ich noch eine Stunde bis zum Frühstück zu warten hatte. Endlich kam der Diener mit dem Teewasser, und das Klappern hoher Absätze und Rauschen seidener Röcke kündigte die Tante an. Statt eines Morgengrußes lachte sie mir hell ins Gesicht: „Ja wie schaust du denn aus?! So ein Fratz, und fagotiert sich wie eine junge Frau auf der Hochzeitsreise.“ Tief gekränkt biß ich mir auf die Lippen; ich war so stolz auf den weichen schleppenden Morgenrock, den mir mein Vater geschenkt hatte! „Daß du mir diese Theatertoilette
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/164&oldid=- (Version vom 31.7.2018)