die Ruhigen liebten es, am Strande Muscheln zu suchen; die Waghalsigen wollten, mit Kutschern und Reitknechten um die Wette, junge Pferde hinter Zaum und Zügel zwingen. Freiheit der Bewegung war Gesetz für alle. Nur wenn laut der Gong durch Schloß und Hof und Garten gellte, fanden sie sich allmählich wieder zusammen.
Allabendlich füllte sich der dunkle Speisesaal, in dem so lange nur Mutter und Sohn einander schweigsam gegenübergesessen hatten, mit lebenslustiger Jugend, und die kulinarischen Genüsse, die der französische Koch zu bereiten verstand, steigerten mit dem perlenden Sekt, den der alte Haushofmeister unermüdlich in die Gläser schenkte, die lebendige Stimmung. Wenn dann hinter den Flügeltüren die zärtlich-lockende Weise des Donauwalzers klang, gab es ein heftiges Stühlerücken, und gleich darauf flogen die Paare durch den hohen weißen Saal. Viele schmale Spiegel, von Goldleisten eingefaßt und von musizierenden Amoretten bekrönt, warfen das Bild immer wilder tobender Tänzer zurück, während so manche durch das Alter blind gewordene Scheiben heimlich die Erinnerung an graziös und feierlich im Menuett sich schlängelnde und wiegende Rokokopaare zu bewahren schienen. Mit leisem Klirren schlugen die Kristallprismen des Kronleuchters aneinander, und die Lichter flackerten im Takt, als hätte die Tanzweise auch ihnen Leben verliehen; sie bewegten sich noch lange hin und her, wenn die duftende Schwüle der Sommernacht die Tanzenden durch weit offene Türen in den dämmernden Park gelockt hatte. Da gab es verschnittene Laubengänge und weiße Bänke im Jasmingesträuch, und auf
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/150&oldid=- (Version vom 31.7.2018)