Im dunklen Buchengang
Liegt unter Eis und Schnee,
Begraben all mein Glück –
Wach blieb mein Weh.
* * *
Ich möchte zu Roß durch die Wälder jagen,
Ich möchte, der Meersturm umbrauste mich,
Ich möchte jauchzen und schluchzend klagen,
Zu deinen Füßen, ach, stürbe ich!
Ich möchte entfliehen und dich vergessen,
Den Lippen fluchen, die ich dir bot.
Ich möchte noch einmal ans Herz dich pressen,
Und dann umarmen den Bräut’gam Tod.
* * *
In artigen Reimen mit wohlerzogenen Gefühlen stellte ich zu gleicher Zeit meine arme Muse zu allen Festtagen in den Dienst der Familie und nahm für mein „hübsches Talent“ die allgemeine Anerkennung entgegen. Nur eine erfuhr zuweilen von den Geheimnissen meines Schreibtisches: Mathilde, das blasse Kusinchen, die allsonntäglich zu mir kam, und zu der ich lief, wenn das Herz mir gar zu voll war. Sie war, als ich sie kennen lernte, noch ein Kind ihrem Alter, ihrer geistigen und körperlichen Entwicklung nach, und ich hätte sie nicht beachtet, wenn sie mir nicht in einem Moment begegnet wäre, wo ich einen Menschen brauchte, wie der schmelzende Schnee auf den Bergen ein Bett, in das er sich ergießen kann. Ich hatte kein andres Interesse für sie als das, daß sie mich aufnahm. Abends in der Dämmerstunde, oder in den Zeiten, wo ich zu Bett lag, halb verhüllt von den weißen Vorhängen,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/119&oldid=- (Version vom 31.7.2018)