Stadien der Leidenschaft empfand ich: Abschied und Wiedersehen, Eifersucht und Untreue, Besitz und Verlust; und mit fieberheißen Händen füllte ich Bücher um Bücher mit meinem erträumten Glück und Leid.
Wie sie mich seltsam anmuten, die alten Poesiealbums mit ihren bunten geschmacklosen Einbänden: Asche, die von verpufftem Feuerwerk stammt. Der Schmerz bildet überall den Grundakkord, die Qual der Verlassenheit kommt immer wieder zum Ausdruck, und der Wunsch, zu sterben, steigert sich oft zu brennendem Verlangen nach dem Tod:
Einstmals blühtest du wunderbar,
Rose, du prächtige, süße,
Sandtest zum Himmel blau und klar
Duftend-berauschende Grüße.
Einstmals füllte der Liebe Macht
Mich mit Wonnen und Schmerzen,
Und es strahlte des Lenzes Pracht
Wider in meinem Herzen,
Jetzt ist die Rose verwelkt, verweht,
Herbstlich umbraust mich das Wetter;
Eines nur blieb, das den Sturm besteht:
Dornen und dürre Blätter.
* * *
Im dunklen Buchengang
Zur schönen Frühlingszeit
Hast du mich heiß geküßt
Voll Liebesseligkeit.
Im dunklen Buchengang
Fielen die Blätter ab,
Als ich zum Abschied dir
Weinend die Hände gab.
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/118&oldid=- (Version vom 31.7.2018)