Werd ich dich welken sehn,
Dann werd auch ich vergehn.
Und in das kühle Grab
Senkt man uns beid hinab.
Bis ich erwachsen war, hat es niemand zu sehen bekommen, wie man eine getrocknete Blume – eine Zeugin holder Stunden – vor der Berührung bewahrt, die sie zerstören würde.
Mein Garten stand in vollem Frühlingsflor, als wir Abschied nahmen. Ich lief durch das Haus, wo die Packer hantierten, in den Stall, wo August die Wagen in Decken hüllte. „Puckchen, mein Puckchen,“ rief ich. Noch nie war ich fortgefahren, und wäre es auch nur auf ein paar Tage gewesen, ohne ihm ein Stückchen Zucker zu geben. Aber diesmal kam Puckchen nicht. Ich frug den August nach ihm, er sah verlegen zur Seite und murmelte etwas Unverständliches. Da fiel mir ein, daß Mama vor kurzem von seinem Alter, der Möglichkeit seines Todes gesprochen hatte. Das Herz stand mir still. Noch einmal suchte und rief ich, die Stimmen von Mademoiselle und Mama absichtlich überhörend, die mich zur Eile mahnten. „Geh nur, geh, Alixchen,“ sagte August, der mir nachgekommen war, beruhigend, „Puckchen findest du nicht – –.“
„Er ist tot!“ schrie ich außer mir und warf mich weinend in Augusts Arme. Alles lief zusammen, mich zu trösten, aber fassungslos blieb mein Schmerz. „Sieh, mein Kind,“ sagte schließlich Mama, die mich auf den Schoß genommen hatte, „Puckchen war alt und krank, er hätte sich mit seinen blinden Augen in der fremden Stadt nicht mehr zurechtgefunden. Eine Wohltat
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/048&oldid=- (Version vom 31.7.2018)