daß die gedrückte Stimmung zu Haus mich beeinflußt hatte, denn hier kam eine reine Siegesfreude nicht auf. Nicht nur, weil Söhne und Gatten allen Wechselfällen des Krieges ausgesetzt waren, sondern auch, weil nahe, liebe Verwandte der Großmutter im französischen Heere dienten. Neffen von ihr kamen als Gefangene nach Potsdam; der alte Bruder ihrer Mutter, der sich als Jüngling unter Napoleon I. die Sporen verdient hatte, kämpfte jetzt mit derselben glühenden Vaterlandsliebe unter seinem Nachfolger. Von dem Franzosenhaß, der den deutschen Kindern späterer Zeit eingeprägt wurde, wußten wir infolgedessen nichts. Ich glaube, jener Hurrapatriotismus, der sich heute breit macht, gedeiht nur in Friedenszeiten. Wer dem Kriege Aug in Auge sieht, dessen Vaterlandsliebe wird vielleicht nicht weniger tief, wohl aber ernster und stiller sein. Erst wenn die großen Kämpfe der Völker lange vorüber sind, werden sie zu Mitteln, die Begeisterung auch der Kinder anzufachen. So kam es wohl, daß meine Phantasie von dem, was vor sich ging, ebenso unberührt blieb wie mein Gemüt. Nur der Heimkehr meines Vaters sah ich voll jubelnder Freude entgegen.
Er brachte uns allen Geschenke aus Frankreich mit, die er mit Sorgfalt und in der freudigen Aussicht auf die glücklichen Gesichter der Empfänger ausgewählt und wofür er wohl auch viel Geld ausgegeben hatte. Über all das schöne Spielzeug, das ich erhielt, war mein Jubel ohne Grenzen, und ein zierliches goldnes Kettlein, das mich noch mehr entzückte, schlang ich mir grade vor dem Spiegel um den Kopf, so daß die Perle, die wie ein Tautropfen daran hing, just unter dem
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/028&oldid=- (Version vom 31.7.2018)