„Aber dann hast Du ja gar kein Urtheil darüber! Ich muß Dir sagen, alle unsere Bekannten in Karlsruhe waren entzückt davon.“
„Na, wart’ nur, wenn wir verheirathet sind, nehm’ ich Dich in die Lehre! Jede Woche eine ästhetische Vorstellung bei Deinem Mann.“
„Aber das ist doch gar nicht Dein Fach, Richard!“ Es klingt verwundert und rechthaberisch. Hausdörffer lacht nervös.
„Ach, Du Schäfchen, ich bin doch nicht bloß so’n Fachsimpel?“
„Wenn man sich zersplittert, bringt man es nicht weit, heutzutage.“ Toni spricht sehr würdevoll jetzt, Richard stutzt.
„Na, wo hast Du das aufgeschnappt?“
„Unser Hausarzt in Karlsruhe war ein sehr gescheiter Mann, der hat das jeden Tag gesagt.“
„Liebe Toni, ein gescheiter Mann sagt nicht jeden Tag dasselbe, am wenigsten etwas so Gemeinplätziges.“
Nun schweigt sie verletzt, und er ist auch verstummt. Nein, gewiß, so kommen sie sich nicht näher.
„Seid ihr fertig, Kinder?“ ruft Mama aus dem Alkoven. Beide springen erleichtert von den Sitzen, froh, daß das Frühstück vorbei ist. Im Tramwagen kann man kaum mit einander reden, und das ist vortheilhaft. Man lächelt sich an, spricht ein halbes Wort, nickt, freut sich, das lang entbehrte Gesicht
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/145&oldid=- (Version vom 19.8.2019)