vorangeht. Traditionen werden über Bord geworfen, sobald es gilt für irgendeinen Financier dunkelster Herkunft Platz zu machen; die bewährte Etiquette des großen Königs wird durchbrochen, wenn irgendeine Ausländerin, die sich mit Hilfe ihres Geldes einen armen Marquis gekauft hat, hoffähig zu sein beansprucht. Und dabei muß ich befürchten, daß der junge Hof, auf den ich so große Hoffnungen setzte, nach dieser Richtung wenig ändern wird. Die Dauphine wählt ihren Umgang nur nach den Beweggründen ihres Amüsements und ihr Gemahl huldigt allerhand bürgerlichen Passionen, die zwar schließen lassen, daß der künftige König einige Millionen weniger verbrauchen, zugleich aber auch, daß der repräsentative Glanz des Königtums weiter verbleichen wird. Und dieser Glanz, der es umgeben soll, wie die goldene, juwelenbesetzte Hülle das Allerheiligste, ist notwendig, um das Volk, gewissermaßen im Schiff der Kirche, ehrfürchtig vom Hochaltar, auf dem der Herrscher thront, entfernt zu halten. Je mehr der Pöbel bemerkt, daß die da oben auch nur Menschen sind, desto mehr wird er sie als seinesgleichen behandeln wollen.
Verzeihen Sie, meine Teure, daß ich Sie schließlich mit Gedanken langweile, die weniger für Ihr kindliches Gemüt, als für das reife Verständnis meiner Mutter bestimmt waren: Lassen Sie sich von ihr des weiteren darüber belehren.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/049&oldid=- (Version vom 31.7.2018)