Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses. | |
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Nachforschungen anstellen. Das hat er denn in der Folge auch getan, ohne den geringsten Erfolg. Später, nach der Hauptverhandlung, als ich ihm rückhaltloses Vertrauen schenkte und alle seine Fragen beantwortete, spielte das Dover-Telegramm immer eine gewisse Rolle. Die Auskunft, die ich ihm gab, hat ihn nie völlig befriedigt. Kein Wunder, denn es hatte mit diesem Telegramm wirklich eine sonderbare Bewandtnis. Es war nämlich gar nicht an mich gerichtet und nur durch einen Irrtum in meine Hände geraten. Der Bote, der am Zuge entlang den Adressaten suchte, rief immer wieder mit lauter Stimme: Telegram for Earl Howe – und sprach das Wort Earl so aus, daß ich Carl verstand. Der Inhalt des Telegramms war folgender: Sorry cannot meet you at the station, dining out, Francis. Also die Absenderin bedauerte, den Adressaten nicht am Zuge abholen zu können, da sie auswärts zum Essen eingeladen war. Natürlich bedauerte auch ich, daß Lord Howe durch diesen Irrtum meinerseits in Charing Croß eine kleine Enttäuschung erleben mußte, aber es war nichts zu machen, der Expreß hatte sich inzwischen in Bewegung gesetzt und hielt unterwegs nicht. Sonderbar war auch die weitere Geschichte dieses Telegramms. Es befand sich unter den Papieren, die bei mir beschlagnahmt wurden, der Untersuchungsrichter wußte nichts damit anzufangen und steckte es in einen Umschlag mit der Aufschrift: Belanglose Schriftstücke. So kam es nach Beendigung des Prozesses zu meinen Eltern. Nach der Entlassung aus dem Zuchthause fand ich es, und das zerknitterte Dokument mit den fast verwischten Schriftzügen machte einen eigentümlichen Eindruck auf mich.
Dr. Dietz war sehr befriedigt von der Unterredung mit meiner Frau. Der Fall bekam jetzt ein anderes Gesicht. Ungeahnte Möglichkeiten tauchten auf.
Die Ankündigung meiner Frau, daß sie den Tag der Verhandlung nicht erleben werde, nahm er nicht ernst. Er redete ihr zu, diesen Gedanken aufzugeben, denn ihr Erscheinen in der Hauptverhandlung sei unumgänglich notwendig; begehe sie Selbstmord, so verschlechtere
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/94&oldid=- (Version vom 31.7.2018)