Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses. | |
|
Olgas Gefühle für den jungen Mann wärmer wurden. Er selber suchte ihre Gesellschaft, weil er mit ihr über die abwesende Schwester plaudern konnte – es war wie ein letztes Band, das ihn noch mit mir verknüpfte, ihm den Trennungsschmerz ein wenig linderte. Schließlich reisten meine Mutter und meine Schwester nach Hause; er ging nach Freiburg, um seine Studien fortzusetzen. Aber kaum in Freiburg angelangt, sah er, daß der Pakt, sich jeder Korrespondenz mit mir zu enthalten, über seine Kräfte ging, er schrieb mir einen leidenschaftlichen Brief, der sich kreuzte mit einem ähnlichen Brief, den ich an ihn geschrieben hatte. Diesen ersten Briefen folgten andere, die das Übel verschlimmerten. Anfang Juni sollte ich von Rom nach Baden-Baden zurückkehren und mich nach dem Willen meiner Mutter dort mit einem Offizier verloben. Ich war halb und halb bereit, das zu tun, um unter die hoffnungslose Leidenschaft einen endgültigen Strich zu ziehen. Aber ich war auch schwach genug, daß ich dem Manne, den ich liebte, den Wunsch nicht abschlagen konnte, mich vorher noch einmal, ein letztes Mal, zu sehen. Wir trafen uns in Luzern. Die paar Stunden des Beisammenseins waren mit bitterem Schmerz durchtränkt, das Auseinandergehen herzzerreißend.
Nun war ich wieder in Baden-Baden. Meine Schwester erzählte von Montreux und ließ wohl merken, was für Zukunftshoffnungen sie auf die dort entstandene größere Intimität gründete. Auch die Mutter äußerte sich sehr wohlwollend.
Am zweiten Tage nach meiner Ankunft ging ich gegen Mittag die Lichtentaler Allee entlang nach dem Bahnhof. Ich war sehr niedergeschlagen. Das Leben schien mir unerträglich. Ich fragte mich: Wirst du über diese Sache hinwegkommen? Und die Antwort lautete: Nein. Da sah ich in der Ferne eine wohlbekannte Gestalt langsam auf mich zukommen, erst traute ich meinen Augen nicht, aber kein Zweifel, er war es. Er kam, mir einen Vorschlag zu machen. Welchen Vorschlag? Diesen: „Da wir nicht zusammen
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/88&oldid=- (Version vom 31.7.2018)