Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses. | |
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ihm das Hemd wieder an und marschiert mit ihm ab. Gleich ist er wieder da, tritt zu mir herein und erschöpft sich, da er mein Entsetzen sieht, in Gesten und Worten der Beschwichtigung. „Aber nein, Herr Rechtsanwalt, da müssen Sie sich nicht drüber aufregen, das hat ja weiter gar nichts auf sich, der arme Herr ist ganz harmlos, tut keiner Fliege was zuleid, und zu Ihnen herein hätte er ja überhaupt gar nicht kommen können, weil doch die Türe verschlossen ist.“
„Wo haben Sie ihn hingebracht? Haben Sie ihm die Zwangsjacke angelegt?“
„Aber nein, Herr Rechtsanwalt, kein Gedanke. Zwangsjacken gibt es bei uns sozusagen überhaupt nicht. Bei uns wird alles mit Güte gemacht. Ins Bad hab ich ihn gesteckt, da sitzt er jetzt im warmen Wasser und ist ganz vergnügt. Ein ganz harmloser Mensch.“
„Was ist es für ein Mensch?“
„Ein Arzt, Herr Rechtsanwalt, ein sehr tüchtiger Arzt mit einer großen Praxis. Er hat sich zu sehr angestrengt und ist ein bißchen übergeschnappt. Aber es geht schon besser mit ihm, bald wird er wieder gesund sein.“
Langsam ebbte die Erregung in mir ab, aber das Erlebnis hinterließ einen tiefen Eindruck. Es war mir unheimlich in dem Haus. Abends, wenn ich im Bett lag, lauschte ich gespannt auf jedes Geräusch, und so oft aus der Ferne das Geschrei eines Kranken zu mir drang, ließ meine Phantasie Schreckensbilder vor mir erstehen. Ich mußte zu Schlafmitteln meine Zuflucht nehmen. Meist gab man mir Paraldehyd, an das ich mich leider bald so gewöhnt hatte, daß ich es nicht mehr entbehren konnte.
Alle paar Tage kam der Geheimrat auf eine halbe Stunde und nahm mich unter die Lupe. Ich gab ihm auf seine Fragen wahrheitsgemäßen Bescheid, so schwer mir dies auch manchmal wurde, denn er sondierte in die geheimsten Winkel der Seele hinein. Über die Prozeßtatsachen selber sprach er nicht. Ich hatte den Eindruck, daß er mich für schuldig hielt.
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/79&oldid=- (Version vom 31.7.2018)