Zum Inhalt springen

Seite:De Das Todesurteil (Hau).djvu/78

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

vielleicht die richtige Art, aber mich berührte es anfangs höchst unangenehm. Später gewöhnte ich mich daran.

„Wenn der Herr Rechtsanwalt jetzt ein Stündchen spazierengehn will,“ sagte Michel, nachdem der Oberwärter sich entfernt hatte, „ich stehe zur Verfügung.“

In mehreren Höfen, an denen ich vorbeigekommen war, hatte ich Geisteskranke herumlaufen sehen, zum Teil schreiend und wild gestikulierend; um keinen Preis der Welt hätte ich mich unter diese begeben mögen.

„Aber nein,“ sprach Michel mit der Miene und dem Ton einer Mutter, die ihr verängstigtes Kind beruhigt, „was denken Herr Rechtsanwalt. Ich werde doch Herrn Rechtsanwalt nicht mit den Kranken zusammenbringen. Herr Rechtsanwalt hat einen eigenen Hof für sich, wo er ganz allein ist. Gleich hier unter dem Fenster, Herr Rechtsanwalt. Sie sehn, es ist kein Mensch drin.“

In der Tat, vor dem Fenster lag ein kleiner Hof mit einer gedeckten Wandelhalle, umgeben von einer ziemlich niedrigen Mauer, jenseits derer Wiesen und Felder sichtbar waren, im Hintergrund bewaldete Berge. Wir gingen hinaus, und Michel tat sein möglichstes, mich gut zu unterhalten.

Mittags servierte er ein gutes und reichliches Essen und half getreulich die Flasche Wein austrinken. Dann besorgte er Zigarren, Bücher und Zeitungen, erkundigte sich, ob der Herr Rechtsanwalt noch Wünsche habe, und zog sich zurück.

Wie ich nun in behaglicher Ruhe am Tisch sitze und lese, da höre ich plötzlich draußen ein Geräusch. Ich schaue auf und erblicke an dem Fenster der Tür ein Gesicht – ein so furchtbar verzerrtes Gesicht, daß es mir kalt über den Rücken läuft. Als ich mich der Tür nähere, fängt der Irre an zu reden, hastig sich überstürzende, kaum verständliche Worte, begleitet von grotesken Bewegungen der Arme und Beine, dann reißt er sich das Nachthemd vom Leibe und tanzt nackt im Gange herum. Aber schon kommt Michel herbeigestürzt, beruhigt ihn, zieht

Empfohlene Zitierweise:
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/78&oldid=- (Version vom 31.7.2018)