Welt, und von diesem Teil ihres Lebens hörten wir nie ein Wort. Nur wenn sie mal einen etwas längeren Urlaub haben wollten, hieß es, ihr Vater oder ihre Mutter lägen im Sterben. Anfänglich rührte mich das sehr, ich bewilligte ihnen immer den Urlaub, bot ihnen auch Arzneien an. Aber sie hatten wirklich zu viel sterbende Väter und Mütter – mein Vorrat an Mitgefühl ward so sehr beansprucht, daß er sich schließlich erschöpfte. Hier ist es ganz anders; Ta ist oft recht mitteilsam gegen mich und erzählt mir von den Stubenmädchen, die ihn seines langen Zopfes halber gern als Dame verkleiden und ihn sogar auf einen ihrer Bälle mitgenommen haben. Hier bin ich ihm offenbar »Vater und Mutter und Beschützer der Armen«, wie die Inder sagen; ich erscheine ihm als einziges Bindeglied zwischen seinem früheren und jetzigen Leben. Seitdem er hier so viel Neger gesehen, hält er, glaube ich, weiße Leute überhaupt für beinahe stammverwandt. »Das sind keine Menschen, das sind schwarze Teufel«, sagte er ganz ernsthaft, und will keinesfalls zugeben, daß sie Christen wie er sein könnten. Auf andere herabzuschauen, ist für Wesen aller Nüancen nun mal eine freudige Genugtuung.
Ta hat ein paarmal Briefe von seiner Heimat bekommen. Er ist an solchen Tagen immer sehr
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/69&oldid=- (Version vom 31.7.2018)