erscheinen – sind sie doch meine Schätze – das Einzige vielleicht, was mir geblieben. Als ob von einem alten verblaßten Gemälde der Staub gewischt würde und man nun die Züge wieder gewahrt, so fällt mir tausend Vergessenes ein. Die Geschichte jener Jahre, in denen wir uns trafen und kannten, rollt sich wieder vor mir auf, und beständig glaube ich zu sehen, wie Sie mich aus den Tiefen der Vergangenheit anschauen.
Beim ersten Anblick mancher Menschen habe ich die dunkle Empfindung gehabt, sie früher schon gekannt zu haben, obschon ich doch genau wußte, daß ich sie in diesem Leben zum erstenmal sah. Wo, wann mochten wir uns wohl getroffen haben? Was war es, das uns früher einmal vereinigt hatte und woran die Erinnerung mich plötzlich leise zu mahnen schien? Niemals habe ich das so sehr empfunden, lieber Freund, als an dem Tage, da ich Sie zum erstenmal sah.
Erinnern Sie sich dessen noch?
Es war bei einem Diner in Peking, im Hause des langjährigen Gesandten von ***, eines der letzten Repräsentanten jener alten politischen Schule, die noch an die unüberwindliche Macht Chinas glaubte und in der Behandlung dieses asiatischen Völkergebildes als ebenbürtigen Großstaates eine Befriedigung der eigenen Diplomateneitelkeit fand.
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/212&oldid=- (Version vom 31.7.2018)