– aber es bleibt immer noch aus. Ich hatte viel Hoffnungen auf den Anblick des Brandenburger Tores gesetzt. Aber vergeblich. Daß die Allee mit den Kurfürsten und sonstigen großen Männern es nicht weckte, ist nicht zu verwundern, denn die war mir gänzlich neu. Hat mir nur bewiesen, daß mich als Kind ein richtiger Instinkt leitete, wenn ich mich gegen Geschichtsunterricht wehrte – die Ansichten und Urteile sind ja offenbar noch immer gar nicht feststehend.
Hier im Hotel Buckingham, Unter den Linden, wo wir wohnen, weil es Amerikaner meinem Bruder empfohlen haben, werde ich sicher auch nicht zum Bewußtsein einer Heimat gelangen.
Mit meinem fortwährenden Suchen nach Heimatsgefühl komme ich mir halb rührend, halb komisch vor, etwa so, wie der im heiligen Lande nach seinem verlorenen Glauben suchende Pierre Loti. Aber fürchten Sie nichts, lieber Freund, ich will Ihnen nicht wie er ein ganzes Buch darüber schreiben! Ich bin nämlich viel schneller als Loti zu einer Erklärung der Vergeblichkeit unseres Suchens gekommen. Ich fürchte, er wie ich sind zu lange fortgeblieben, er von den Stätten des Glaubens, ich von denen der Jugend – für Glauben und für Heimat gibt es vielleicht auch ein »zu spät«. Ist man Ihnen erst einmal völlig fremd geworden,
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/146&oldid=- (Version vom 31.7.2018)