Tempo inne, und er kommt zu spät. Hier bleibt dem Fahrgast, wenn er seinen Zweck erreichen will, nichts übrig, als dem Kutscher einen Zuschlag zur Taxe, d. i. ein Trinkgeld zu versprechen. Leistung um Gegenleistung – gewöhnliches Tempo, gewöhnlicher Satz – beschleunigte Fahrt, erhöhter Satz. Der Zuschlag zur Taxe trägt hier wie bei unserer ersten Art des Trinkgeldes ganz die Natur des Lohnes an sich, es wird dafür etwas geleistet, was nicht begehrt werden konnte.
In derselben Weise erkläre ich mir den Ursprung des Trinkgeldes an den Lohnkutscher bei längeren Fahrten: Tages- oder Nachmittagsfahrten, wie es sich in ganz Deutschland findet. Es ward ursprünglich nicht dafür bezahlt, dass derselbe fahre, sondern dass er gut fahre, es war ebenfalls eine über den Preis hinaus bewilligte Prämie für eine Steigerung der Leistung über das gewöhnliche Mass hinaus und daher beim Fuhrherrn ganz ebenso am Platze wie beim Knecht – Steigerung der Leistung, Steigerung des Lohnes.
Unter denselben Gesichtspunkt einer Vergütung für eine nicht zu beanspruchende Leistung ist auch das Trinkgeld zu bringen, das von Eisenbahnreisenden so häufig an die Schaffner entrichtet wird, damit sie keine anderen Personen zu ihnen ins Coupé setzen. Es wird entrichtet für eine Leistung, die als solche nicht beansprucht werden kann.
Rudolf von Jhering: Das Trinkgeld. Georg Westermann, Braunschweig 1882, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Trinkgeld.pdf/23&oldid=- (Version vom 31.7.2018)