Indien antrat, ist nach dem Besuch mehrerer Küstenstädte nun auch in Delhi, der Hauptstadt des indischen Kaiserreiches, unter Entfaltung eines nur im Orient möglichen, geradezu märchenhaften Pomps eingezogen. Vor dem Tore der Stadt wurden der künftige Beherrscher des englischen Weltreichs und seine Gemahlin von dem Vizekönig von Indien, Earl of Minto, und einigen hundert eingeborenen Fürsten empfangen und dann durch die festlich geschmückten Straßen bis zum Palaste des Vizekönigs geleitet. Am Abend fand ein Bankett statt, zu dem die eingeborenen Fürsten in ihren edelsteinüberladenen Nationaltrachten erschienen waren. Diese Tischgesellschaft bot ein die Augen blendendes, zauberhaftes Bild dar. Buntschillernde, seidene Gewänder, aus denen die kostbarsten Brillanten wie zuckende Flämmchen leuchteten, goldgestickte Uniformen mit blinkenden Ordenssternen, dazwischen die Galaroben der Damen und die feenhafte Beleuchtung des nur in Weiß und Gold gehaltenen Saales – das alles wirkte zusammen wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht. In dieser illustren Menge soll einer der indischen Fürsten immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben: Matasana, der Radscha von Sadani, der an einer mit Brillanten dicht besetzen Kette als Medaillon einen großen, blauen Diamanten trug, vor dessen Feuer alle übrigen Steine zu erblassen schienen. Diesen Diamanten, den Kenner für jenen unter dem Namen ,Auge des Brahma‘ berühmten und vor einem Jahrhundert aus dem französischen Kronschatz verschwundenen
Walther Kabel: Das Auge des Brahma. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Auge_des_Brahma.pdf/128&oldid=- (Version vom 10.12.2022)