Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein | |
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De Candolle hat einmal in beredter Weise erklärt, die ganze Natur sei im Kriege begriffen, ein Organismus kämpfe mit dem andern oder mit der umgebenden Natur. Wenn man das so zufrieden erscheinende Aussehen der Natur betrachtet, so möchte man dies zunächst bezweifeln; Ueberlegung indeß weist es als unwiderleglich wahr nach. Doch ist dieser Krieg nicht fortwährend anhaltend, sondern tritt in kürzeren Zwischenräumen in geringerem Grade, in gelegentlich und nach längerer Zeit wiederkehrenden Perioden heftiger auf, seine Wirkungen werden daher leicht übersehen. Es ist die Lehre von Malthus in den meisten Fällen mit zehnfacher Kraft angewendet. Wie es in einem jeden Clima für alle seine Bewohner verschiedene Jahreszeiten von größerem und geringerem Reichthum an Nahrung gibt, so pflanzen sie sich auch sämmtlich jährlich fort; und die moralische Zurückhaltung, welche in einem geringen Grade die Zunahme der Menschheit aufhält, geht gänzlich verloren. Selbst die langsam sich vermehrenden Menschen haben schon ihre Zahl in fünfundzwanzig Jahren verdoppelt, und wenn sie die Nahrung mit größerer Leichtigkeit vermehren könnten, so würden sie ihre Zahl in einer noch kürzeren Zeit verdoppeln. Bei Thieren aber, welche keine künstlichen Mittel, die Nahrung zu vermehren, besitzen, muß der Betrag an Nahrung für jede Species im Mittel constant sein, während die Zahlenzunahme aller Organismen geometrisch zu werden neigt, in einer ungeheuern Majorität der Fälle sogar in einem enormen Verhältnis.
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/18&oldid=- (Version vom 31.7.2018)