Fähigkeiten sicher variabel, und die Abänderungen werden vererbt. Niemand bezweifelt, dass diese Fähigkeiten für die Thiere im Naturzustande von der grössten Bedeutung sind. Daher sind die Bedingungen zu ihrer Entwickelung durch natürliche Zuchtwahl günstig. Dieselbe Folgerung kann auf den Menschen ausgedehnt werden. Der Verstand muss für ihn von äusserster Bedeutung gewesen sein, selbst schon in einer sehr weit zurückliegenden Periode; denn er setzte ihn in den Stand, die Sprache zu erfinden und zu gebrauchen, Waffen, Werkzeuge, Fallen u. s. w. zu verfertigen, durch welche Mittel alle er, unterstützt durch seine socialen Gewohnheiten, schon vor langer Zeit das herrschendste von allen lebenden Wesen wurde.
Ein grosser Schritt in der Entwickelung des Intellects wird geschehen sein, sobald die halb als Kunst, halb als Instinct zu betrachtende Sprache in Gebrauch kam; denn der beständige Gebrauch der Sprache wird auf das Gehirn zurückgewirkt und eine vererbte Wirkung hervorgebracht haben, und diese wieder wird umgekehrt auch wieder auf die Vervollkommnung der Sprache zurückgewirkt haben. Die bedeutende Grösse des Gehirns beim Menschen, im Vergleich mit dem der niederen Thiere, im Verhältniss zur Grösse seines Körpers kann zum hauptsächlichsten Theile, wie Mr. Chauncey Wright treffend bemerkt hat,[1] dem zeitigen Gebrauche irgend einer einfachen Form von Sprache zugeschrieben werden. Die Sprache ist ja jene wundervolle Maschinerie, welche allen Arten von Gegenständen und Eigenschaften Zeichen anhängt und Gedankenzüge erregt, welche aus dem blossen Eindrucke der Sinne niemals entstanden wären, oder wenn sie entstanden wären, nicht hätten verfolgt werden können. Die höheren intellectuellen Kräfte des Menschen, wie die der Ueberlegung, der Abstraction, des Selbstbewusstseins u. s. w. werden wahrscheinlich der fortgesetzten Vervollkommnung und Uebung der anderen geistigen Fähigkeiten gefolgt sein.
Die Entwickelung der moralischen Eigenschaften ist ein noch interessanteres Problem. Ihre Grundlage findet sie in den socialen Instincten, wobei wir unter diesem Ausdrucke die Familienanhänglichkeit mit einschliessen. Diese Instincte sind von einer äusserst complicirten Natur und bei den niederen Thieren veranlassen sie besondere Neigungen zu gewissen, bestimmten Handlungen; für uns sind aber die bedeutungsvolleren Elemente die Liebe und die davon verschiedene
- ↑ On the Limits of Natural Selection, in: North American Review, Oct. 1870, p. 295.
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/382&oldid=- (Version vom 31.7.2018)