Belegen weisen noch andere Ueberlegungen auf das früher verbreitete Vorherrschen communaler Ehen hin. Sir J. Lubbock erklärt[1] in geistvoller Weise die fremdartige und weitverbreitete Gewohnheit der Exogamie, – d. h. die Form von Heirathen, wo die Männer eines Stammes sich immer Frauen aus einem verschiedenen Stamme nehmen, – durch den Communismus, welcher die ursprüngliche Form der Ehe gewesen ist, so dass ein Mann niemals ein Weib für sich erlangte, wenn er es nicht von einem benachbarten und feindlichen Stamme für sich zur Gefangenen machte; denn dann wird dasselbe natürlich sein eigenes und werthvolles Besitzthum geworden sein. Hierdurch kann der Gebrauch, Frauen zu fangen, entstanden und wegen der dadurch erlangten Ehre kann es schliesslich die allgemeine Gewohnheit geworden sein. Wir können hiernach auch Sir J. Lubbock zufolge die Nothwendigkeit einsehen, warum für die Heirath als eine „Beeinträchtigung der Rechte des Stammes eine Entschädigung oder Sühne eintreten musste, da den alten Ideen entsprechend ein Mann kein Recht hatte, das sich selbst anzueignen, was dem ganzen Stamme gehörte“. Sir J. Lubbock theilt ferner eine merkwürdige Menge von Thatsachen mit, welche zeigen, dass in alten Zeiten den Frauen, welche äusserst ausschweifend waren, grosse Ehre erwiesen wurde; und dies ist, wie er erklärt, zu verstehen, wenn wir annehmen, dass allgemeine Vermischung der ursprüngliche und daher lange in Ansehen stehende Gebrauch des Stammes war.[2]
Obgleich die Art und Weise der Entwickelung des ehelichen Bandes ein dunkler Gegenstand ist, wie wir nach den über mehrere Punkte auseinandergehenden Ansichten der drei Schriftsteller, welche ihn am sorgfältigsten studirt haben, nämlich Mr. Morgan, M’Lennan und Sir J. Lubbock, schliessen können, so scheint es doch nach den vorstehenden und mehreren anderen Reihen von Beweisen wahrscheinlich zu sein,[3] dass der Gebrauch der Ehe, in irgend welchem strengen
- ↑ Address to British Association „On the Social and Religions Condition of the Lower Races of Man“, 1870, p. 20.
- ↑ Origin of Civilization, 1870, p. 86. In den verschiedenen oben citirten Werken wird man reichliche Belege über die Verwandtschaft nur mit den Frauen oder allein mit dem Stamme finden.
- ↑ C. Staniland Wake sucht (Anthropologia, March, 1874, p. 197) eingehend die von diesen drei Schriftstellern entwickelte Ansicht von dem früheren Vorherrschen einer fast ganz allgemeinen Vermischung zu widerlegen; er glaubt, dass das classificatorische System der Verwandtschaftsbezeichnung anders erklärt werden kann.
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/354&oldid=- (Version vom 31.7.2018)