Zum Inhalt springen

Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/320

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

manchen Streit durchzumachen, ehe sie ein Weibchen gewinnen, und die älteren Männchen können ihre Weibchen nur durch erneute Kämpfe sich erhalten. Sie haben auch, wie beim Menschen, ihre Weibchen ebenso wie ihre Jungen gegen Feinde aller Arten zu vertheidigen und um ihre gemeinsame Erhaltung zu jagen. Aber Feinde zu vermeiden oder sie mit Erfolg anzugreifen, wilde Thiere zu fangen und Waffen zu erfinden und zu formen, erfordert die Hülfe der höheren geistigen Fähigkeiten, nämlich Beobachtung, Vernunft, Erfindung oder Einbildungskraft. Diese verschiedenen Fähigkeiten werden daher beständig auf die Probe gestellt und während der Mannheit bei der Nachzucht berücksichtigt worden sein; sie werden überdies während dieser selben Periode des Lebens durch Gebrauch gekräftigt worden sein. Folglich können wir in Uebereinstimmung mit dem oft erwähnten Principe erwarten, dass sie mindestens die Neigung zeigen, in der entsprechenden Periode der Mannbarkeit hauptsächlich auf die männlichen Nachkommen überliefert zu werden.

Wenn nun zwei Männer mit einander oder ein Mann mit einer Frau, von denen beide jede geistige Eigenschaft in derselben Vollendung besitzen, mit der Ausnahme, dass der eine grössere Energie, Ausdauer und Muth hat, in Concurrenz gerathen, so wird allgemein dieses letztere hervorragender in jedem Streben werden, was auch der Gegenstand gewesen sein mag, und wird den Sieg gewinnen.[1] Man kann sagen, er hat Genie besessen, denn Genie ist von einer grossen Autorität für nichts Anderes als für Geduld erklärt worden, und Geduld in diesem Sinne bedeutet: nicht zurückweichende, unerschrockene Ausdauer. Diese Ansicht vom Genie ist aber vielleicht unzureichend, denn ohne die höheren Kräfte der Einbildungskraft und des Verstandes kann in vielen Gebieten kein eminenter Erfolg erreicht werden. Diese letzteren werden aber ebensogut wie die früheren Fähigkeiten beim Manne theils durch geschlechtliche Zuchtwahl, d. h. durch den Streit rivalisirender Männchen, und theils durch natürliche Zuchtwahl, d. h. nach dem Erfolg in dem allgemeinen Kampfe um’s Leben entwickelt worden sein; und da in beiden Fällen der Kampf während des reifen Alters eingetreten sein wird, so werden die hierdurch erlangten Charactere


  1. J. Stuart Mill bemerkt (The Subjection of Women, 1869, p. 122): „die Gegenstände, in denen der Mann die Frau am meisten übertrifft, sind diejenigen, welche das meiste Grübeln und consequenteste Ausführen eines einzelnen Gedankens erfordern“. Was ist dies anders als Energie und Ausdauer?
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/320&oldid=- (Version vom 31.7.2018)