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Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/244

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Die Wirkungen der Castration verdienen Beachtung, da sie auf den vorliegenden Gegenstand Licht werfen. Hirsche erneuern nach dieser Operation ihr Geweihe niemals wieder. Doch muss hier das männliche Renthier ausgenommen werden, da es nach der Castration das Geweihe erneuert. Diese Thatsache scheint ebenso wie das Vorkommen von Hörnern in beiden Geschlechtern auf den ersten Blick zu beweisen, dass die Hörner keinen sexuellen Character darstellen;[1] da sie aber in einer sehr frühen Periode entwickelt werden, ehe die Geschlechter der Constitution nach von einander verschieden sind, so ist es nicht überraschend zu finden, dass sie von der Castration nicht beeinflusst werden, selbst wenn sie ursprünglich von den Männchen erlangt worden wären. Bei Schafen tragen eigentlich beide Geschlechter Hörner; man hat mir mitgetheilt, dass bei Schafen aus Wales die Hörner der Männchen durch die Castration bedeutend reducirt werden; der Grad dieser Reduction hängt aber in hohem Maasse von dem Alter ab, in welchem die Operation ausgeführt wird, ganz ebenso wie dies auch bei andern Thieren der Fall ist. Merino-Widder haben grosse Hörner, während die Mutterschafe „allgemein genommen hornlos sind“; und in dieser Rasse scheint die Castration eine etwas grössere Wirkung hervorzubringen, so dass die Hörner, wenn die Operation in einem frühen Alter vorgenommen wird, „beinahe unentwickelt bleiben“.[2] An der Küste von Guinea lebt eine Schafrasse, bei welcher die Weibchen niemals Hörner tragen, und wie mir Mr. Winwood Reade mittheilt, fehlen dieselben den Widdern nach der Castration vollständig. Bei Rindern werden die Hörner der Männchen durch die Castration sehr verändert; denn anstatt kurz und dick zu sein, werden sie länger als die der Kuh, sind aber im Uebrigen diesen ähnlich. Die Antilope bezoartica bietet einen ziemlich analogen Fall dar: die Männchen haben lange, gerade, spiral gedrehte Hörner, welche einander fast parallel nach hinten gerichtet sind; die Weibchen tragen gelegentlich Hörner; wenn sie aber vorhanden sind, bieten sie eine sehr verschiedene Form dar, sie sind nicht spiral, gehen weit


  1. Dies ist die Folgerung, zu der Seidlitz gelangt: Die Darwinsche Theorie, 1871, p. 47.
  2. Ich bin Prof. Victor Carus sehr verbunden, dass er über diesen Punkt in Sachsen Erkundigungen eingezogen hat. H. v. Nathusius sagt (Viehzucht, 1872, p. 64), dass die Hörner von zeitig castrirten Schafen entweder vollständig verschwinden oder als blosse Rudimente bestehen bleiben; ich weiss aber nicht, ob er sich dabei auf Merinoschafe oder auf gewöhnliche Rassen bezieht.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/244&oldid=- (Version vom 31.7.2018)