Geweihe und bei weiblichen Elephanten die Entwickelung ungeheurer Stosszähne eine grosse Verschwendung von Lebenskraft gewesen, wenigstens nach der Annahme, dass sie für die Weibchen von keinem Nutzen sind. In Folge dessen werden diese Organe dazu geneigt haben, bei den Weibchen durch natürliche Zuchtwahl beseitigt zu werden; das heisst, wenn die nach einander auftretenden Abänderungen in ihrer Ueberlieferung auf die weiblichen Nachkommen beschränkt geblieben wären, denn andernfalls würden die Waffen der Männchen schädlich beeinflusst werden, und dies würde ein noch grösserer Nachtheil gewesen sein. Im Ganzen, sowie nach Betrachtung der folgenden Thatsachen, scheint es wahrscheinlich zu sein, dass, wenn die verschiedenen Waffen in den beiden Geschlechtern verschieden sind, dies allgemein von der vorherrschend gewesenen Art der erblichen Ueberlieferung abgehangen hat.
Da das Renthier die einzige Species in der ganzen Familie der hirschartigen Thiere ist, bei welcher das Weibchen mit Geweihen versehen ist, wenn sie auch etwas kleiner, dünner und weniger verzweigt sind als beim Männchen, so könnte man natürlich glauben, dass dieselben wenigstens in diesem Falle von irgend einem speciellen Nutzen für dasselbe sind. Das Weibchen behält seine Geweihe von der Zeit, wo es völlig entwickelt ist, nämlich vom September, durch den ganzen Winter bis zum April oder Mai, wo es seine Jungen zur Welt bringt. Mr. Crotch hat um meinetwillen specielle Erkundigungen in Norwegen eingezogen; es scheint, als ob sich das Weibchen zu dieser Zeit für ungefähr vierzehn Tage verberge, um ihre Jungen abzusetzen; dann erscheint es wieder: und zwar meist hornlos. Wie ich indessen von Mr. H. Reeks höre, behält in Neu-Schottland das Weibchen zuweilen seine Hörner länger. Das Männchen wirft andererseits sein Geweihe viel zeitiger ab, nämlich gegen das Ende des November. Da beide Geschlechter dieselben Bedürfnisse haben und denselben Lebensgewohnheiten folgen, und da das Männchen kein Geweihe während des Winters besitzt, so ist es unwahrscheinlich, dass das Geweihe von irgend einem speciellen Nutzen für das Weibchen in dieser Zeit des Jahres sein kann, welche den grösseren Theil der Zeit umfasst, während welcher dasselbe überhaupt Geweihe trägt. Auch ist es nicht wahrscheinlich, dass es sein Geweihe von irgend einem alten Urerzeuger der ganzen Familie der hirschartigen Thiere ererbt haben kann; denn aus der Thatsache, dass die Weibchen so vieler Species in allen Theilen
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/240&oldid=- (Version vom 31.7.2018)