Und was die Periode betrifft, in welcher das Reproductionsvermögen erlangt wird, so ist es eine merkwürdige Thatsache, dass verschiedene Vögel gelegentlich brüten, so lange sie noch ihr unreifes Gefieder haben.[1]
Die Thatsache, dass Vögel in ihrem unreifen oder Jugendgefieder brüten, scheint der Annahme entgegenzustehen, dass die geschlechtliche Zuchtwahl, wie ich allerdings glaube dass es der Fall ist, eine bedeutungsvolle Rolle bei der Verleihung ornamentaler Farben, Schmuckfedern u. s. w. an die Männchen, und mittelst der gleichartigen Ueberlieferung auch an die Weibchen vieler Species, gespielt hat. Der Einwurf würde ein triftiger sein, wenn die jüngeren und weniger geschmückten Männchen ebenso erfolgreich im Gewinnen von Weibchen und in der Fortpflanzung ihrer Art wären, als die älteren und schöneren Männchen. Wir haben aber keinen Grund anzunehmen, dass dies der Fall ist. Audubon spricht von dem Brüten der unreifen Männchen von Tantalus Ibis als einem seltenen Ereigniss, wie es auch Mr. Swinhoe in Bezug auf die unreifen Männchen von Oriolus thut.[2] Wenn die Jungen irgend einer Species in ihrem unreifen Gefieder erfolgreicher im Gewinnen von Genossen wären als die Erwachsenen, so würde wahrscheinlich das erwachsene Gefieder bald verloren werden, da ja dann diejenigen Männchen das Uebergewicht erlangen würden, welche ihr unreifes Jugendkleid am längsten beibehielten; hierdurch würde am Ende der Character der Species modificirt werden.[3] Wenn
- ↑ In Audubon's Ornitholog. Biography habe ich die folgenden Fälle gefunden. Der americanische „Redstarf“ (Muscicapa rubicilla, Vol. I, p. 203). Der Ibis tantalus braucht vier Jahre, um zu vollständiger Reife zu gelangen, brütet aber zuweilen im zweiten Jahr (Vol. III, p. 133). Der Grus americanus braucht dieselbe Zeit, brütet aber ehe er sein volles Gefieder erhält (Vol. III. p. 211). Die Erwachsenen der Ardea caerulea sind blau und die Jungen weiss: und weisse, gefleckte und reife blaue Vögel kann man sämmtlich durcheinander brüten sehen (Vol. IV, p. 58); Mr. Blyth theilt mir indessen mit, dass gewisse Reiher dem Anscheine nach dimorph sind, denn man kann weisse und gefärbte Individuen des nämlichen Alters beobachten. Die Harlekin-Ente (Anas histrionica L.) braucht drei Jahre, um ihr volles Gefieder zu erlangen; doch brüten viele Vögel im zweiten Jahre (Vol. III, p. 614). Der weissköpfige Adler (Falco leucocephalus, Vol. III, p. 210) brütet, wie man gleichfalls erfahren hat, in seinem unreifen Zustande. Einige Species von Oriolus brüten gleichfalls (nach den Angaben von Mr. Blyth und Mr. Swinhoe in: Ibis, July, 1863, p. 68), ehe sie ihr volles Gefieder erlangen.
- ↑ s. die vorhergehende Anmerkung.
- ↑ Andere zu völlig verschiedenen Classen gehörende Thiere sind entweder gewöhnlich oder nur gelegentlich im Stande, sich fortzupflanzen bevor sie ihre erwachsenen Charactere vollständig erlangt haben. Dies ist der Fall mit den jungen Männchen des Lachses. Man hat die Erfahrung gemacht, dass mehrere Amphibien sich fortpflanzen, während sie ihren Larvenbau behalten. Fritz Müller hat gezeigt („Für Darwin“ S. 54), dass die Männchen mehrerer amphipoden Crustaceen geschlechtsreif werden, solange sie noch jung sind; und ich halte dies für einen Fall von vorzeitiger Fortpflanzung, weil sie noch nicht ihre völlig entwickelten Klammerorgane erhalten haben. Alle derartige Thatsachen sind in hohem Grade interessant, da sie sich auf ein Mittel beziehen, durch welches die Species bedeutende Modificationen des Characters erleiden können.
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/213&oldid=- (Version vom 31.7.2018)