Zum Inhalt springen

Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/113

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

eine befremdende Thatsache, dass innerhalb eines und desselben Bezirkes während der Höhe der Paarungszeit so viele Männchen und Weibchen immer in Bereitschaft sein sollten, den Verlust des gepaarten Vogels wieder zu ersetzen. Warum paaren sich solche einzeln gebliebene Vögel nicht sofort mit einander? Haben wir nicht einige Veranlassung, hier zu vermuthen (und auf diese Vermuthung ist auch Mr. Jenner Weir gekommen), dass ebenso wie der Act der Bewerbung bei vielen Vögeln eine sich in die Länge ziehende und langweilige Angelegenheit zu sein scheint, es auch gelegentlich eintritt, dass gewisse Männchen und Weibchen während der eigentlichen Zeit beim Anregen der Liebe zu einander keinen Erfolg haben und in Folge dessen sich auch nicht paaren? Diese Vermuthung wird etwas weniger unwahrscheinlich erscheinen, nachdem wir gesehen haben, welche starke Antipathien und Bevorzugungen weibliche Vögel gelegentlich in Bezug auf besondere Männchen äussern.

Geistige Eigenschaften der Vögel und ihr Geschmack für das Schöne. — Ehe wir die Frage weiter erörtern, ob die Weibchen die anziehenderen Männchen sich auswählen oder das erste beste annehmen, das ihnen zufällig begegnet, wird es gerathen sein, kurz die geistigen Kräfte der Vögel in Betracht zu ziehen. Ihr Verstand wird allgemein und vielleicht mit Recht als gering geschildert; doch liessen sich einige Thatsachen mittheilen,[1] welche zu dem entgegengesetzten Schlusse fuhren. Ein geringes Vermögen des Nachdenkens ist indess, wie wir es beim Menschen sehen, mit starken Affectionen,


  1. Ich verdanke Prof. Newton die folgende Stelle aus Adam's Travels of a Naturalist, 1870, p. 278. Wo er von Japanesischen Spechtmeisen in der Gefangenschaft spricht, sagt er: „Anstatt der nachgiebigeren Frucht der Eibe, welche die gewöhnliche Nahrung der Spechtmeise von Japan bildet, gab ich ihr einmal harte Haselnüsse. Da der Vogel nicht im Stande war, sie zu knacken, legte er sie eine nach der andern in sein Wasserglas, offenbar in der Idee, dass sie mit der Zeit weicher werden würden, — ein interessanter Beleg für die Intelligenz dieser Vögel.“
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/113&oldid=- (Version vom 31.7.2018)