Zum Inhalt springen

Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/96

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schädigung gewesen sein. Wir sehn ja, dass die unbekleideten Feuerländer in ihrem schauerlichen Clima existiren können. Wenn man den vertheidigungslosen Zustand des Menschen mit dem der Affen vergleicht, von denen viele mit fürchterlichen Eckzähnen ausgerüstet sind, so müssen wir uns daran erinnern, dass im völlig entwickelten Zustande nur die Männchen solche besitzen, indem sie sie hauptsächlich zum Kampf mit ihren Nebenbuhlern brauchen; und doch sind die Weibchen, welche nicht damit versehen sind, völlig im Stande, leben zu bleiben.

In Bezug auf die körperliche Grösse oder Kraft wissen wir nicht, ob der Mensch von irgend einer vergleichsweise kleinen Art, wie der Schimpanse, abstammt oder von einer so mächtigen wie der Gorilla, und wir können daher auch nicht sagen, ob der Mensch grösser und stärker oder kleiner und schwächer im Vergleich zu seinen Urerzeugern geworden ist. Wir müssen indess im Auge behalten, dass ein Thier, welches bedeutende Grösse, Kraft und Wildheit besitzt und welches, wie der Gorilla, sich gegen alle Feinde vertheidigen kann, wahrscheinlich nicht social geworden sein wird, und dies würde in äusserst wirksamer Weise die Entwickelung jener höheren geistigen Eigenschaften beim Menschen, wie Sympathie und Liebe zu seinen Mitgeschöpfen, gehemmt haben. Es dürfte daher von einem unendlichen Vortheil für den Menschen gewesen sein, von irgend einer verhältnissmässig schwachen Form abgestammt zu sein.

Die geringe körperliche Kraft des Menschen, seine geringe Schnelligkeit, der Mangel natürlicher Waffen u. s. w. werden mehr als ausgeglichen erstens durch seine intellectuellen Kräfte, durch welche er sich, während er noch im Zustande der Barbarei verblieb, Waffen, Werkzeuge u. s. w. formen lernte, und zweitens durch seine socialen Eigenschaften, welche ihn dazu führten, seinen Mitmenschen Hülfe angedeihen zu lassen und solche wiederum von ihnen zu empfangen. Kein Land auf der Erde ist in einem grösseren Grade so dicht mit gefährlichen Thieren erfüllt als Südafrica, kein Land bietet fürchterlichere Leidensquellen dar als die arctischen Gegenden, und doch behauptet sich eine der schwächsten Rassen, nämlich die Buschmänner, in Südafrica ebenso wie es die zwergischen Eskimo's in den arctischen Gegenden thun. Die Vorfahren des Menschen kamen ohne Zweifel an Intellect und wahrscheinlich an socialen Anlagen den niedrigsten jetzt existirenden Wilden nicht gleich; es ist aber völlig gut einzusehen, dass sie existirt und sogar geblüht haben können, wenn sie an intellectueller Ausbildung

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/96&oldid=- (Version vom 31.7.2018)